Montag, 27. Juni 2011

Rabbiner und Prälaten

Von Wilfried Meyer

Das war ein erfreuliches Bild: Nach 60 Jahren wurden in Deutschland wieder Rabbiner ordiniert. Sie werden nicht nur ihre Kultur weitergeben. Jüdischer Tradition gemäß werden sie Kinder zeugen, unter denen regelmäßig Hochbegabte sind, wie man es aus der Vergangenheit kennt. Sie werden dadurch den Deutschen und der Welt manches Wertvolle schenken. Die Künste und Wissenschaften verzeichnen viele hervorragende Juden. Etliche der in den letzten Jahren verstorbenen oder gerade noch lebenden Nobel-Preis-Träger waren von den Nazis vertriebene Juden. Im Alter werden die Rabbiner auf eine große Schar von Kindern und Enkeln zurückblicken. So war es übrigens auch einst in den evangelischen Pfarrhäusern, aus denen viele berühmte Deutsche hervorgegangen sind.

Gleichzeitig gab es ein unerfreuliches Bild: Einige hundert Priester und Prälaten mit dem Papst in ihrer Mitte. Alle sind kinderlos, werden sterben, ohne dass einer von ihnen seine Begabung seiner Kirche und der Welt weiter gereicht hat, im Einzelfall sicher eine sehr hohe Begabung. So geschieht es seit tausend Jahren oder länger. (Die Forderung der Ehelosigkeit ist älter, wurde aber erst um das Jahr 1000 allgemein durchgesetzt.) Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass das ohne Folgen geblieben ist. Ob die Gene oder die Familien-Umwelt bei der Vererbung wichtiger waren, muss man nicht wissen. Erblich ist die Begabung so oder so, wie zu allem Überfluss wieder die PISA-Ergebnisse gezeigt haben.

Ist diese Fortpflanzungs-Verweigerung begabter Katholiken der Grund, weshalb die letzten Plätze in den PISA-Tabellen regelmäßig von Ländern mit katholischer Geschichte belegt wurden, während sie in der Spitze fehlten? Die Öffentlichkeit hat diesen auffälligen Befund noch nicht zur Kenntnis genommen. Aus Höflichkeit oder aus Mitleid? Es ist ja unwahrscheinlich, dass es niemand bemerkt hat.

Zwei Jesuiten allerdings haben nicht geschwiegen, und die Katholiken sollten sich häufiger an sie erinnern: In den 20-er Jahren war es Hermann Muckermann, der dann aber gleich zweimal kalt gestellt wurde: von seiner Kirche und von den Nazis. Vermutlich war er der einzige, der diesen makabren Ruhm in Anspruch nehmen konnte. Im Gegensatz zur Aufregung seiner Zeit predigte er nicht in erster Linie die „Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das Allerwelts-Thema der zwanziger Jahre, sondern ermahnte die Erfolgreichen und Leistungsfähigen zu einer großen Kinderschar. Dass er und sein Bruder, gleichfalls Jesuit, diesem ethischen Gebot nicht folgten, gemäß dem Gesetz seiner Kirche nicht folgen durften, hat er nicht thematisiert.

In den 60-er Jahren war es Karl Erlinghagen, der hingewiesen hat auf „Das katholische Bildungsdefizit“, so sein Buchtitel (Freiburg 1965). Ihm blieb das Schicksal seines Vorgängers erspart, aber gehört wurde er kaum. Die Katholiken sollten darauf drängen, dass diese öffentliche Diskussion wieder aufgenommen wird, vor allem, dass die ungeliebten Tatsachen von seriösen wissenschaftlichen Instituten auf ihre Ursachen hin untersucht werden. Tun die Katholiken es nicht, tun es irgendwann Chaoten oder Spötter. Das kann kein redlicher Mensch wünschen, kein Katholik und kein anderer.

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