Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs sucht nach Wegen, um israelische Offiziere wegen 'Kriegsverbrechen' in Gaza vor Gericht zu stellen
AUTOR: Catherine Philp & James Hider
Übersetzt von Susanne Schuster
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) erkundet Wege, um israelische Befehlshaber wegen angeblicher Kriegsverbrechen in Gaza anzuklagen.
Die angeblichen Verbrechen schließen den Einsatz von tödlichem weißen Phosphor in von Zivilisten dicht besiedelten Gebieten ein, wie eine Untersuchung der Times letzten Monat enthüllte. Israel verneinte zunächst den Einsatz der kontroversen Waffe, die schreckliche Verbrennungen verursacht, war angesichts der sich verdichtenden Beweise später aber dazu gezwungen, ihre Anwendung zuzugeben.
Als palästinensische Gruppen diesen Monat am IStGH eine Eingabe machten, sagte sein Ankläger, das Strafgericht könne den Fall nicht annehmen, denn es habe keine Rechtssprechung über Israel, denn das Land hat das Statut des IStGH nicht ratifiziert. Nun jedoch hat Luis Moreno-Ocampo, der Staatsanwalt des IStGH, der Times mitgeteilt, er untersuche die Argumente für eine palästinensische Rechtssprechung im Hinblick auf angebliche Verbrechen, die in Gaza begangen wurden.
Palästinensische Gruppierungen erklärten in ihrer eingereichten Argumentation, die Palästinensische Behörde sei der De Facto-Staat des Gebiets, in dem die Taten angeblich verübt wurden.
“Es ist der Territorialstaat, der am IStGH eine Eingabe machen muß. Sie argumentieren, dass die Palästinensische Behörde in Wirklichkeit dieser Staat ist,” sagte Herr Moreno-Ocampo der Times auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
Die Argumente der Palästinenser stützen sich zum Teil auf das Beharren Israels, unter internationalem Recht trage es seit seinem Rückzug von diesem Gebiet im Jahr 2006 keine Verantwortung für Gaza. “Sie zitieren die Gesetzgebung,” sagte Herr Moreno-Ocampo. “Es ist sehr kompliziert. Es ist eine andere Art von Analyse, die ich durchführe. Es könnte lange dauern, aber ich werde eine dem Gesetz entsprechende Entscheidung fällen.”
Herr Moreno-Ocampo sagte, seine Untersuchung des Falles spiegele nicht unbedingt eine Überzeugung wider, dass in Gaza Kriegsverbrechen begangen worden waren. Die gültige Gesetzgebung zu bestimmen, sei der erste Schritt, sagte er und erst, wenn dies entschieden sei, könne er eine Untersuchung beginnen.
Das Büro des Chefanklägers hat von palästinensischen Gruppierungen bereits mehrere Unterlagen zu angeblichen Straftaten erhalten und erwartet weitere Berichte von der Arabischen Liga und Amnesty International, die in Gaza gesammelte Beweise enthalten.
Unter dem Rom-Statut, mit dem der IStGH gegründet wurde, kann das Strafgericht wegen angeblicher schwerster Kriegsverbrechen Ermittlungen und Stafverfolgungen betreiben, doch nur wenn das betreffende Land nicht willens oder in der Lage ist, dies über seine nationale Gerichtsbarkeit zu tun.
Staaten, die das Statut ratifiziert haben, können Fälle von Straftaten, die von ihren Staatsangehörigen oder auf ihrem Staatsgebiet verübt wurden, an den IStGH weiterleiten. Fälle, die sich auf Staatsangehörige oder auf das Staatsgebiet eines Landes beziehen, welches das Statut nicht ratifiziert hat, können an den UN-Sicherheitsrat verwiesen werden - wie im Fall von Darfur. Elfenbeinküste machte Schule als erster Nichtratifizierer des Rom-Statuts, der die Rechtssprechung des IStGH über angebliche Kriegsverbrechen auf seinem Staatsgebiet anerkannte. Es unterzeichnete das Rom-Statut, hat es aber nie ratifiziert. Im Jahr 2005 gab das Land am Strafgericht eine Erklärung ab, mit der es die Rechtsprechung des IStGH über seit 2002 verübte Straftaten auf seinem Staatsgebiet anerkannte.
Palästinensische Anwälte argumentieren, dass es der palästinensischen Behörde erlaubt werden sollte, die Fälle in Gaza nach dem gleichen Prinzip an den IStGH zu verweisen - trotz der Tatsache, dass es international nicht als eigener Staat anerkannt ist.
Der Fall hat weitreichende Konsequenzen für die Eigenstaatlichkeit von Palästina. Wenn der IStGH den Fall abweist, dann wird damit das rechtliche schwarze Loch hervorgehoben, in dem sich Palästinenser befinden, solange sie staatenlos bleiben. Jedoch werden damit auch einige der schlimmsten Befürchtungen Israels über einen palästinensischen Staat an seiner Grenze verdeutlicht. Ein palästinensischer Staat, der das Rom-Statut unterzeichnete, hätte dann die Möglichkeit, angebliche israelische Kriegsverbrechen an den IStGH zu verweisen, ohne das gegenwärtige rechtliche Gezänk. Der Fall könnte auch eine Lawine von internationalen Anerkennungen eines palästinensischen Staates lostreten, von Ländern, die auf eine Anklage Israels erpicht sind.
Ein möglicher Weg wäre, dass Israel einer Ermittlung gegen seine Befehlshaber und einer Anklage wegen aufgedeckter Verbrechen zustimmen würde. Dies würde etwaige Fälle aus dem Dunstkreis des Internationalen Strafgerichtshofes entfernen. Angesichts Israels wiederholter Abstreitungen von Kriegsverbrechen in Gaza scheint dies eher unwahrscheinlich.
Die israelische Armee hat jedoch ein internes Untersuchungsverfahren in Gang gesetzt, um herauszufinden, ob weißer Phosphor in einigen Fällen in dichtbesiedelten Gebieten eingesetzt wurde, nachdem sie schließlich zugab, dass sie diesen Brandstoff benutzt hatte; zwar ist sein Einsatz auf einem Schlachtfeld zur Erzeugung eines künstlichen Nebelschleiers´nicht illegal, doch in von Zivilisten besiedelten Gebieten ist er verboten. Kamerabilder von einem solchen Angriff zeigen, wie etwas, das weißer Phosphor zu sein scheint, auf eine UN-Schule in Beit Lahiya herunterregnet, wo Krankenwagen des Roten Kreuzes und ihr Rettungspersonal stationiert waren.
Ein Bündnis aus israelischen Menschenrechtsgruppen drängte den Justizminister des Landes darauf, ein unabhängiges Untersuchungsverfahren zu angeblichen Kriegsverbrechen von Soldaten zu eröffnen; es mahnte, dass man dadurch Gerichtsverfahren am IStGH vermeiden könnte. Das Bündnis, das auch die Antibesetzungsorganisation B'Tselem einschließt, sagte, es habe Berichte gegeben, wonach israelische Soldaten in mit Zivilisten besiedelte Gebiete geschossen hätten, Verwundeten medizinische Hilfe vorenthalten und palästinensische Krankenwagen davon abgehalten hätten, sie zu erreichen und auf Menschen gezielt hätten, die weiße Flaggen trugen.
Unterdessen bereitet die UN eine Untersuchung der Beschießung der UN-Schule in Jabaliya, im Norden des Gazastreifens, vor. Israelische Soldaten schossen Artilleriegranaten auf die Schule, die in einen Schutzbunker für Gazaner, die aus ihren Häusern geflohen waren, umgewandelt worden war. Mindestens 43 Menschen wurden dabei getötet. Israel sagte, militante Palästinenser hätten von dem Gelände geschossen, was von den UN verneint wurde.
Catherine Philp in Davos und James Hider in Jerusalem
Quelle: Prosecutor looks at ways to put Israeli officers on trial for Gaza 'war crimes'
Originalartikel veröffentlicht am 2.2.2009
Susanne Schuster ist ein Mitglied von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl die Autoren, die Übersetzerin als auch die Quelle genannt werden.
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