Sonntag, 19. August 2012
So haben wir statt Realismus und Notfallplänen nur Leugnen und weitere lustige Gespräche
Wie
wir Europas Albtraum erleben
von
Christopher T. Mahoney, früherer Vizepräsident von Moody’s
Es
ist immer schwer zu akzeptieren, wenn man einen langen Krieg
verliert. Als er in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bereits
von Amerikanern und Russen eingeschlossen war, redete sich Hitler
selbst ein, er habe noch zwei Armeen in Reserve, um damit einen
Gegenangriff zu starten und den Krieg noch zu gewinnen. Zum selben
Zeitpunkt glaubte das kaiserliche Kabinett Japans, als es schon den
gesamten Pazifik verloren hatte, dass kein Feind je einen Fuß auf
den geheiligten Boden ihres Landes würde setzen können.
Wenn
die Wahrheit jenseits des Vorstellbaren liegt, erfindet die
menschliche Psyche eine zweite Wirklichkeit, in der sie sich
einrichtet.
Genau
das kennzeichnet aber auch die globale Situation von heute. Der
gesamte Planet scheint zu leugnen, was gerade in der Eurozone
abläuft. Sogenannte „Weise“ erwarten, dass Deutschland ein
Kaninchen aus dem Hut zaubert und den ganzen Kontinent mit Eurobonds
überflutet, oder aber, dass Mario Draghi einen Coup bei der
Europäischen Zentralbank landet und alle wertlosen Länderanleihen
aufkauft.
Beides
könnte passieren, ist aber extrem unwahrscheinlich. Deutschland kann
nicht für die Schulden
der Eurozone aufkommen, ohne die Eurozone zu kontrollieren, was auch
niemand angeboten hat, und Nordeuropa wird der EZB nicht erlauben,
dass diese vom „Club Med“ gekidnapped wird, um in eine
Wohltätigkeitsorganisation umgewandelt zu werden. Das ist eben keine
Angelegenheit der Politik; aber es ist auch – und das betonen die
Deutschen immer wieder –eine Angelegenheit von Recht und Gesetz.
Europa
hat einen Plan A, nach dem jedes Land seine eigene Wirtschaft
reformiert, seine Banken rekapitalisiert und sein Budget ausgleicht.
Aber der Plan A wird nicht angewendet: Die von diesem Plan dafür
vorgesehenen Mitglieder, besonders Frankreich, verweigern ihn, und
immer mehr wird ein südeuropäischer Konsens sichtbar, der da heißt,
Sparsamkeit sei nicht die Lösung des Problems.
Die
jüngsten Wahlen in Griechenland haben ergeben, dass es in eine
Richtung gegen die Sparsamkeit
gehen soll. Italien und Spanien (das nicht genug Geld hat, um sein
eigenes Bankensystem
zu retten) haben in ähnlicher Weise zu einem Ende der Sparsamkeit
aufgerufen, und bald wird auch Irland dies tun. Alle haben den Zugang
zum Kreditmarkt verloren, und Portugal ist so weit von jeder Hoffnung
entfernt, dass seine Staatsschulden für Cents vom Euro gehandelt
werden.
Und
es gibt für die insolventen Länder keinen wohldurchdachten Plan,
aus der Eurozone auszuscheiden.
Es gibt keine Sicherheiten, keine Pläne, keinen Handlungsentwurf
–nichts. So wie die Verfassung der Vereinigten Staaten sieht auch
der Maastricht-Vertrag keinen Austrittsmechanismus
vor. So haben wir statt Realismus und Notfallplänen nur Leugnen und
weitere lustige Gespräche. Aber wenn etwas „undenkbar“ ist,
heißt das noch lange nicht, dass es nicht doch geschehen kann.
Und
tatsächlich ist das schon geschehen. Griechenland gerät immer
schneller in die Zahlungsunfähigkeit;
seine Bürger ziehen ihre Guthaben ab und zahlen ihre Steuern und
fälligen Gebühren nicht mehr. Auch wenn das Land sich bis zur Wahl
am 17.Juni über Wasser halten kann, werden ein nicht satzungsgemäßer
Austritt aus der Eurozone sowie die Einstellung aller Zahlungen und
ein Währungswechsel folgen. Griechenland wird in Bezug auf den
Import von Gütern der Grundversorgung wie Öl und Nahrungsmittel von
fremder Hilfe abhängig sein. Die öffentliche Ordnung wird schwer
aufrechtzuerhalten sein, und das Militär könnte gezwungen sein,
(wieder) einzuschreiten.
Wenn
erst Griechenland geht, dann sind auch massenhafte Auflösungen von
Bankguthaben in Spanien und Italien wahrscheinlich. Nichts kann
spanische und italienische Sparer und Anleger davon abhalten, ihre
Guthaben von der örtlichen Bank auf eine Bank in der Schweiz, in
Norwegen oder New York zu übertragen. An diesem Punkt wird die EZB
das einzige sein, was noch zwischen der Eurozone und dem finanziellen
Chaos steht, wenn sie Regierungsanleihen kauft und den Bankenansturm
damit aufhält. Der Rahmen für einen solchen Vorgang wäre enorm
groß und würde die EZB gewaltigen Kreditrisiken aussetzen. Aber
sie könnte prinzipiell einschreiten, wenn Nordeuropa dies zuließe.
Wenn
die EZB aber nicht einschreitet, werden auch Italien und Spanien
gezwungen sein, aus dem Euro auszuscheiden, Zahlungen auf ihren
eurobezogenen Haushalt zu beenden, ihre Bankverpflichtungen
einzustellen und ihre nationalen Währungen wiedereinzuführen. Das
würde zu massiven Verlusten im globalen Finanzsystem führen. Wenn
Bankkredite an die Heimatstaaten dieser Banken undurchsichtig werden,
könnten Gläubiger nicht mehr in der Lage sein, zwischen solvent und
insolvent zu unterscheiden (so geschehen im September 2008).
Von
den US-Banken würden von einem solchen Szenario am
wahrscheinlichsten die Globalisten betroffen sein, nämlich
Citigroup, Bank of America, JPMorgan Chase, Goldman Sachs und Morgan
Stanley. Das würde ein Rettungspaket ähnlich dem „US Troubled
Asset Relief Program (TARP)“ erforderlich machen, das nach der
Pleite von Lehman Brothers geschaffen wurde. Die US könnten sich ein
zweites TARP wohl leisten, aber dafür wäre die Zustimmung des
Kongresses notwendig, die nicht garantiert werden kann (obwohl die US
Federal Reserve natürlich das System in jedem Falle absichern kann).
Eine
massive Zerstörung von Reichtum, kombiniert mit einem globalen
Finanzchaos, würde weltweit die Macher der Geldpolitik
herausfordern. Die Zentralbanken hätten die Aufgabe, einer Deflation
vorzubeugen, unter Einbeziehung einer größeren Runde mengenmäßiger
Erleichterungen. Weil aber Banken die Übertragungsmechanismen für
monetären Anreiz sind, setzt dies ein funktionierendes Bankensystem
voraus. Jedes Land für sich müsste das Vertrauen in die Solvenz
seiner Banken wiederherstellen, was sehr wahrscheinlich eine
Blankogarantie für Banken und einen Rekapitalisierungsplan erfordern
würde. (so wie TARP).
Das
US-System kann jedem Schock widerstehen, weil die US das Geld drucken
können, was sie benötigen. Die Fed kann nominelle Preise, nominelle
Löhne und Wachstum aufrechterhalten, wenn sie heroisch handelt, so
wie 2008. Der Aktienmarkt wird dann auf die Unsicherheit, die vom
Zusammenbruch des Europäischen Finanzsystems (wie 1931) verursacht
wurde, negativ reagieren, und der Dollar, der Yen und das Gold
würden dadurch steigen. Das Schicksal des Britischen Pfundes und des
Schweizer Franken kann unmöglich vorhergesagt werden; sie könnten
als sicherer Hafen dienen, aber ihre Banken haben sich auch sehr
stark in der Eurozone engagiert.
Es
ist schon schlimm genug, dass die Welt absolut unvorbereitet auf eine
Zukunft ist, die man vorhersehen konnte. Die nicht vorauszusehenden
finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen der
kommenden Krise könnten aber noch schlimmer werden.
Übersetzt
von U.F.Sackstedt
Eingestellt von PPD am Sonntag, August 19, 2012 Labels: Neues aus der tollen EU
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