Sonntag, 9. Oktober 2011

Von der Situation Griechenlands lernen – bevor wir das gleiche wie sie durchmachen



Schuldkratie

Auszug aus dem gleichnamigen Dokumentationsfilm, den Sie HIER mit deutschen Untertitel sehen können.


G.Papadopoulos (Diktator:
Ich erlaube mir einen Vergleich mit den Ärzten, wir haben einen Patienten und wir haben ihn in Gips gelegt.
Dominique Strauss-Kahn (ehem. Generaldirektor des IWF):
Kämpft nicht gegen den Arzt, manchmal gibt dir der Arzt Medikamente, die du nicht magst, aber selbst wenn du sie nicht magst der Arzt ist da, um dir zu helfen.

Wie schon mal gesagt wurde, die Geschichte hat diese Unsitte, sich „als Farce“ zu wiederholen. So kommen wir von einem Diktator-Möchtegern-Arzt zum Oberarzt des Internationalen Währungsfonds (IWF).

A.Papandreou (Premierminister Griechenlands 1981-1990 / 1993 – 1996):
Jeder muss sich dem Kampf anschließen und sich bewusst sein, dass entweder die Nation ihre riesigen Schulden zerstört oder die Schulden die Nation zerstören.
K. Mitsotakis (Premierminister Griechenlands 1990 – 1993):
Die Einkommenspolitik in diesem Jahr wird unglaublich streng sein. In keiner Weise wird es Gehaltserhöhungen geben.
K. Simitis (Ministerpräsident Griechenlands 1996 – 2004):
Wir haben keinen Platz für Sozialleistungen oder Steuersenkungen.
K. Karamanlis (Ministerpräsident Griechenlands 2004 – 2009):
Wir müssen die öffentlichen Ausgaben reduzieren, wir müssen unser Haus säubern. Und das kann nicht mit leeren Versprechungen erreicht werden, indem Gelder und Privilegien in einer Zeit der Krise wie diese verteilt werden.
G. Papandreou (Premierminister Griechenlands):
Unser Land befindet sich leider auf der Intensivstation. Die wirtschaftliche Stagnation der Nation bedroht unsere Souveränität zum ersten Mal seit 1974.

In den letzten 40 Jahren haben zwei Parteien, drei politische Familien und einige Wirtschaftsbosse, Griechenland in den Bankrott getrieben. Sie haben aufgehört, die Bevölkerung zu bezahlen, um ihre Gläubiger zu retten. Die Wirtschaftszaren – nach Jahrzehnten kontinuierlicher Haushaltskürzungen – zeichneten Griechenland als lokale finanzielle Supermacht.

G. Papantoniou (früherer Finanzminister):
Unsere Arbeit ist einzigartig. Wir waren die ersten, die die wirtschaftlichen Probleme gelöst haben.
N. Christodoulakis (Finanzminister 2001 – 2004):
Wieder einmal werden wir beweisen, dass unsere Wirtschaft das wertvollste Gut unseres Landes ist.
Y. Papantoniou (Finanzminister 1994 – 2001):
Unsere Wirtschaft hat einen Sprung nach vorne gemacht und ist von der zweiten in die erste Liga gesprungen.

Als ihr Gebäude zusammenbrach, sagten die gleichen Leute hinter unserem Rücken, dass aufgrund einer genetischen Störung, wir nicht in der Lage waren, unsere Wirtschaft ohne Intervention von außen zu verwalten.

Y. Papantoniou (Finanzminister 1994 – 2001):
Amerikaner finden es vielleicht schwierig zu verstehen, aber Griechenland hat kein Geschick und Kultur der Festigkeit und Disziplin.

Unsere Regierung nennt uns faule Säcke, und unsere Kreditgeber „Schweine“ (PIIGS) – das gilt für alle Länder der europäischen Peripherie. Und die Minister in allen diesen Ländern versuchen, uns zu überzeugen dass wir alle die Schuld tragen.

Brian Lenihan (Finanzminister Irland 2008 – 2011):
Ich bin damit einverstanden, dass unser politisches System gescheitert ist aber seien wir fair, wir tragen alle die Schuld.
Theodoros Pangalos (Vizepräsident der griechischen Regierung):
Die Antwort auf die Beschwerde der Bürger gegenüber den Politikern „Was habt ihr mit dem Geld gemacht?“ ist: „Wir haben euch zu Beamten gemacht!“ Wir alle tragen die Schuld!

Wir sind also die bösen Buben einer globalen regularisierten Wirtschaft in einem erfolgreichen Europa? Oder weist das System bereits strukturelle Probleme seit beginn auf?
In der kapitalistischen Wirtschaft in der Nachkriegszeit gibt es zwei Perioden.

Kostas Lapavitsas (Prof. für Volkswirtschaftslehre):
In den ersten 25 Jahren nach dem II. Weltkrieg war das Wachstum hoch, stieg das reale Einkommen, wie auch die Konsumgüter. Das waren neue Umstände in der Geschichte des Kapitalismus. Dieser Zeitraum endete Mitte der siebziger Jahre. Danach kamen wir in einen Zeitraum kaum Lohnerhöhungen für die Arbeiter und hoher Arbeitslosigkeit. Für reife kapitalistische Länder war es schwierig, Reichtümer anzuhäufen.

(US Werbe/Propagandafilm: Joe ist der König, weil er mehr mit seinem Gehalt kaufen kann als alle anderen Arbeiter auf dem Planeten)

David Harvey (Sozialwissenschaftler):
Es gibt nicht so etwas wie einen Kapitalismus ohne Krise. Also, irgendwo muss es eine Krise geben. Diese Krise war vor allem auf die Arbeitermacht gerichtet, die sehr stark zu jener Zeit, in kapitalistischen Regionen wie Europa und den USA. Das Ergebnis: es wurde viel Druck auf die Löhne ausgeübt. Die Arbeiter waren organisiert, hatten politische Macht das zeigte sich in den Wahlen. Und das war ein großes Problem für das Kapital. So musste das Kapital die Arbeiter „disziplinieren“. Und es tat es auf unterschiedliche Weise. Es öffnete nationale Märkte für den globalen Wettbewerb. Das Kapital erhielt Zugang zu den globalen Arbeitskräftereservoirs. Und dann kam China auf die Bühne.
Kostas Lapavitsas (Prof. für Volkswirtschaftslehre):
Dieser Zeitraum war durch ein starkes Wachstum im Finanzsystem gekennzeichnet die „Finanzialisierung“ genannt wurde. Die Finanzialisierung brachte und verschärfte die Krise.
David Harvey (Sozialwissenschaftler):
Das Kapital hatte absolute Bewegungsfreiheit, mit Zugriff auf billige Arbeitskräfte. Aber dann kam das Problem auf, dass die Lohnquoten des Volkseinkommens in allen Orten fielen. Und natürlich, Löhne sind ein großer Teil des Marktes. Dann kam das Problem auf, wie es möglich ist, Güter verkaufen, wenn es keine Kaufkraft gibt. Und die Antwort war: Kredite für alle. Und so kam die Kreditwirtschaft ins Leben, die ihre Blütezeit in den 80ern und 90ern erlebte, um die Lücke zwischen den Realeinkommen und der Kaufkraft zu füllen. Viele Menschen begannen, in den späten 90ern – Anfang 2000, zu sehen, dass dieses System nicht aufrecht zu erhalten sei. Die Art und Weise , wie wir aus der Krise der 70er rauskamen ebnete also den Weg für die derzeitige Krise.

Als die Immobilienblase in den USA platzte, befand sich das Finanzsystem kurz vor dem Kollaps. Als Ergebnis sah sich die Realwirtschaft betroffen, die ihre eigenen strukturellen Probleme hatte. Die Staaten ergreifen Rettungsmaßnahmen. Sie verwenden das Geld der Steuerzahler, um Banken zu retten und die Nachfrage wieder herzustellen. Die Finanzkrise wird so zu einer Haushaltskrise. Und dieselben Banken, die von den Steuerzahlern gerettet wurden, beschlossen, die Hand zu beißen, die sie gefüttert hatte, und mit dem Bankrott des Staates zu spekulieren. Um die Spekulation macht alles schlimmer, auch in Griechenland. Nur, dass dieses Mal das Problem sogar noch tiefer greift. Für die Eurozone ist die Zeit gekommen, zu zahlen. Der König Euro zeigt sich nackt, vor allem, weil er ein König ohne Staat ist.

Samir Amin (Economist):
Es kann keine Währung ohne Staat geben. Trotz seiner Schwächen, der Vorteil des US-Dollar ist,unter anderem, dass es einen Staat gibt, genannt die Vereinigten Staaten. Europa existiert als politische Einheit nicht. Es gibt in Europa keine legitime politische macht, die ihre Staaten vereint. Meiner Meinung nach ist die Euro-Zone nicht lebensfähig.

Im Gegensatz zu den USA, wo die Regierung und das Federal Reserve System eingreifen, um Ungleichheiten zwischen den Staaten zu verringern, verschärft die Eurozone die Ungleichheiten. So wurden die armen Verwandten geschaffen – die „Schweine“ (PIIGS) der EU.

Kostas Lapavitsas (Prof. für Volkswirtschaftslehre):
Die Eurozone ist ganz klar in zentrale und periphere Länder aufgestellt. Die Krise ist ernster in den peripheren Staaten. Die Gewinner des Euros sind die zentralen Staaten insbesondere Deutschland. Die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten hat sich sehr ausdifferenziert, und die peripheren Länder haben systematisch ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren. Dies ist direkt auf den Euro zurückzuführen.
Eric Toussaint (Präsident des Komitees für die Abschaffung der Schulden der Dritten Welt / CATDM, Belgien):
Die Krise in der EU ist das Ergebnis der Art und Weise, wie die europäische Integration durchgeführt wurde. Mit Griechenland ist es wie wenn man Muhammad Ali, den Welt- Schwergewichts-Champion, mit einem Federgewichtsboxer in den Ring steckt und den beiden sagt: „Kommt, kämpft und mal sehen, wer gewinnt.“

Aber warum sind die peripheren Länder nicht wettbewerbsfähig? Vor allem: welche sind die Ursachen dieser steigenden Divergenz? Der Mythos der „faulen Peripherie“ und des „arbeitsamen Deutschland“ mit ihrer „hohen Produktivität“ ist entkräftet. Wenn die deutschen Regierungen etwas erreicht haben, ist es, dass sie den Krieg an ihre eigenen Arbeitnehmer erklärt und ihre Löhne für ein Jahrzehnt eingefroren haben.

Sahra Wagenknecht (Die Linke):
Wir haben in den letzten Jahren Lohnstückkostensteigerungen in nominalen Größen im Umfang von 7% gehabt, im Euroraum waren es 27%. Und wenn man so eine Diskrepanz hat ist ja völlig klar, dass andere Länder Niederkonkuriert werden, weil wenn ein Land quasi die realen Löhne sogar sinken wie in Deutschland heute, niedriger als zur Jahrtausendwende und in anderen Ländern immerhin moderate Lohnsteigerungen sind, dann wird natürlich die deutsche Industrie immer wettbewerbsfähiger und andere Industrie haben überhaupt keine Chance. Und durch den Euroraum ist eben ein Mittel ausgeschaltet was früher gab, nämlich die Abwertung der nationalen Währung und damit war im Grunde ein Mechanismus installiert der genau zu diesen Ergebnissen führen musste wie wir sie jetzt haben.
Kostas Lapavitsas (Prof. für Volkswirtschaftslehre):
Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit manifestierte sich auf zwei Arten, die eine entscheidende Rolle für die Krise gespielt haben. Erstens: Es gab große Defizite in den laufenden Transaktionen. Und Griechenland hatte das größte Defizit von allen. Wenn man nicht mithalten kann sind die Transaktionen mit dem Rest der Welt in einem Defizit. Und das Defizit Griechenlands ist enorm. Aber das ist auch der Fall für andere Länder der europäischen Peripherie. Dieses Phänomen ging Hand in Hand mit der Anhäufung von Schulden. Wenn man diese Defizite hat, muss man sie irgendwie ausgleichen.
Samir Amin (Economist):
Griechenland ist der arme Verwandte der Europäischen Union. Griechenland gehört zu den semiperipheren Ländern des europäischen Kontinents. Es ist ganz klar, dass Griechenlands Defizit nur größer werden konnte unter den Umständen der Europäischen Integration. Ich würde nicht einmal dem Gerücht nachgehen, die Griechen seien faul. Das ist purer Rassismus.

Die Eurozone zerstört das Immunsystem der peripheren Länder der EU und überlässt sie der globalen Krise. Die Achillesferse dieser Länder ist das Defizit und die Verschuldung. In unserem Fall tief in der Geschichte des griechischen Staates verwurzelt.

Manolis Glezos (historische Figur der griechischen Linken):
Ab der Zeit des Unabhängigkeitskrieges von 1821, begann unser Land Kredite aufzunehmen. Und seitdem ist es Kreditnehmer. Mit einer Ausnahme. In einer unglaublich „glücklichen“ Phase – und das meine ich ironisch – gelang es Griechenland, Kreditgeber zu sein. Während der deutschen Besatzung, Griechenland gab den deutschen Darlehen. Die Deutschen zwangen Griechenland, Kreditgeber zu sein anstatt Kreditnehmer.

Nach der deutschen Besetzung nahm das Land wieder seine traditionelle Rolle als Kreditnehmer auf. Und die Staatsverschuldung, wie wir sie heute kennen, begann in den 80er Jahren stark zu steigen.

Kostas Lapavitsas (Prof. für Volkswirtschaftslehre):
Die hohe Verschuldung Griechenlands hat mit der sozialen und mit der Klassenstruktur in Griechenland zu tun, und mit der Form, die die griechische Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten angenommen hat. Es hat mit der systematischen Unfähigkeit des griechischen Staates zu tun, ein effektives und faires Steuersystem zu implementieren.

Geschichte der griechischen Staatsverschuldung:
Andreas Papandreou erschafft den geforderten Wohlfahrtstaat, aber ohne die Gehalts- und Unternehmenssteuern zu erhöhen. Durch die Verstaatlichung privater Unternehmen mit Defiziten rettet er Arbeitsplätze. Aber hauptsächlich rettet er die Besitzer der Unternehmen. Das nationale Defizit stieg dramatisch mit der Staatsverschuldung. Die Regierung Mitsotakis nahm weiterhin Darlehen auf. Der Vertrag von Maastricht legte fest, die Märkte sollten der einzige Kontrollmechanismus des Defizits sein, und verbot jegliche Geldschöpfung. Die Schulden schossen in die Höhe mit einer Zuwachsrate, die in der griechischen Geschichte einmalig ist. Kostas Simitis hatte mehr Glück. Auf seiner Seite standen die „kreative Buchführung“, der Rückgang der Zinsen in Europa, und der Wirtschaftswachstum. Auf diese Weise konnte er die Bombe verstecken, die er selber auf die öffentlichen Schulden gelegt hatte. Die Schuldenquote schien leicht zurückzugehen. Kostas Karamanlis senkte die Kapitalsteuern um 10%. Maßnahmen wie diese beschleunigen den wirtschaftlichen Freifall. Und die Verschuldung nahm wieder rasant zu. Georgios Papandreou übernimmt die Steuer um das Land in die Hände der Kreditgeber zu treiben. Am Ende des „Memorandums“ werden die Schulden 167% des Bruttosozialprodukts betragen.
Ende

Die meisten Länder in ähnlicher Situation wurden vom Internationalen Währungsfond besucht. Aber niemand hat so teuer bezahlt wie Argentinien, das Spiegelbild Griechenlands auf der anderen Seite des Atlantiks. Argentinien geriet in die Schuldenfalle zusammen mit Griechenland im Jahr 1824 mit dem ersten britischen Darlehen. Aber die Schlinge zieht sich gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu. Argentinien beschloss einen festen Wechselkurs des Peso gegenüber dem Dollar. Das machte es unmöglich, eine eigenständige Geldpolitik auszuüben. Argentinien erlebt seine eigene Eurozone. Nur dass es sich, anstatt an Berlin, an Washington richtet.
  1. Camdessus (IWF Direktor 1987 – 2000):
(Argentinien) betritt das neue Jahrhundert mit einer sehr soliden Basis.

Zur gleichen Zeit machte der IWF das Land zu einem neuen experimentellen Labor des Neoliberalismus.

Texte des Dokumentarfilms „Die Besetzung“:
Avi Lewis (Filmemacher / Journalist):
Der IWF spielte eine Schlüsselrolle in der Schaffung der Krise in Argentinien. Er zwang die gleiche Destabilisierungs- und Privatisierungspolitik auf, die die Gewinne der Unternehmen steigen lassen, aber die eigentlich die Wirtschaft des Landes vernichten.
Gérard Duménil (Ökonom):
Der IWF vertritt eindeutig die Interessen der USA in der Welt, so wie er auch klar ein Vertreter des Neoliberalismus ist, was bedeutet, dass er die Oberschicht in dem neoliberalen Unternehmen vertritt. Sein Ziel war es, deren Einnahmen zu erhöhen, das hat zu der gegenwärtigen Krise geführt.

Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in Argentinien im Jahr 2001 wurden der IWF und seiner neoliberalen Theorien zum Gespött der Ökonomen auf der ganzen Welt. Dennoch: einige Monster sterben nie.

Avi Lewis (Filmemacher / Journalist):
Der IWF ist wie ein Zombie, du kannst ihn nicht töten. Der IWF ist „auferstanden“ und „rettet“ Länder die Probleme haben, um seine Sparmaßnahmen aufzuerlegen, wie es in ganz Europa passiert und auf ganz infame und schreckliche Weise in Griechenland. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Institution irgendetwas von der Erfahrung Argentiniens gelernt hat

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