Nach
Jahren der Kämpfe haben sich viele Tuareg-Rebellen inzwischen darauf
verlegt, Musik zu machen, um die Kultur ihres Volkes am Leben zu
erhalten. Einer der bemerkenswertesten dieser ehemaligen Rebellen ist
der Musiker
Omar
"Bombino" Moctar.
Viel
Geschichte ist mit diesem Album verbunden; nicht nur die Geschichte
einer Person, die es aufgenommen hat, sondern auch die etwa
1.400-jährige Geschichte eines Volkes und einer ganzen Region. Auch
darüber sollte berichtet werden, wenn man über Bombinos Musik
schreibt. Sonst würde es bedeuten, mindestens die Hälfte von dem,
was sie ausmacht, unter den Tisch fallen zu lassen.
Auch
wenn Musikrezensionen nicht gelesen werden, um eine Lektion in
Sozialkunde oder in Politik zu erteilen, sind doch alle Informationen
über diesen Mann – seine Musik, sein Volk und sein Land – so
wichtig, dass man sie nicht einfach ignorieren darf. Und in gewisser
Weise geht es in seiner Musik vor allem genau darum.
Die
Rede ist von Omar "Bombino" Moctar. Sein Land gehört wohl
zu den schroffsten Landschaften weltweit. Sein Land ist die Sahara,
insbesondere die Teile der Wüste, die innerhalb der Grenzen von
Algerien, Mali, Burkina Faso und Niger liegen. Sein Volk sind die
"Kel Tagelmust", gemeinhin als Tuareg bekannt. Als Nomaden
und Hirten geleiteten sie Karawanen von Algerien nach Niger. Und seit
Jahrhunderten züchteten sie in der Sahara ihre Herden.
Musikalische
Rebellion
Hartnäckig
verweigerten sie sich jedem Einfluss von außen und kämpften für
ihre Unabhängigkeit – gegen alles und jeden, der versuchte, sie
unter Kontrolle zu bringen. Die Wurzeln der Musik lassen sich bis
weit zurück in die Geschichte des Volkes verfolgen, zu den
E-Gitarren moderner Rock-Ikonen wie Jimi Hendrix und Jimmy Page, aber
auch zu den bewaffneten Aufständen der "Kel Tamelgust"
gegen die Regierungen von Niger und Mali in den 1980er Jahren.
Veteranen dieser Rebellionen schließlich waren es, die zuerst ihre
Maschinengewehre niederlegten und zu Gitarren griffen und damit das
Wesen ihrer Rebellion veränderten.
Omar
"Bombino" Moctar wurde 1980 in einem Lager in der Wüste
nahe der Stadt Agadez in Niger als Goumar Almoctar geboren. Als die
nigrische Regierung als Vergeltung für die Rebellion der 1980er
Jahre begann, gegen die "Kel Tamelgust" vorzugehen, floh
Bombinos Familie nach Algerien. In der 1990ern, als es so schien, als
gäbe es eine Chance auf Einigung mit der Regierung, kehrte die
Familie nach Agadez zurück.
Schon
im Exil hatte Moctar gelernt, Gitarre zu spielen, nach der Rückkehr
nach Agadez nahm ihn ein erfahrener Musiker unter seine Fittiche. Als
jüngstes und kleinstes Bandmitglied wurde er von den anderen in der
Band "Bombino" genannt – eine Anspielung auf das
italienische Wort bambinofür
Baby.
So
lange der Frieden hielt, also von den 1990er Jahren bis ins neue
Jahrhundert, entwickelte sich Bombinos musikalische Karriere stetig.
2007 aber kam es erneut zu einem Aufstand und die nigrische Regierung
griff die "Gitarrenspieler" an, weil sie in ihnen
Staatsfeinde sah. Als zwei der Musiker, mit denen er spielte, von der
Armee getötet wurden, ging Bombino zurück ins Exil, diesmal aber in
den Westen, nach Burkina Faso.
Die
zweite Heimkehr
Hier
war es, nach einem Jahr der Suche, wo er von einem Dokumentarfilmer
namens Ron Wyman aufgespürt wurde, der, während er einen Film über
die "Kel Tamelgust" machte ("Agadez – Die Musik und
der Aufstand"), Bombinos Musik auf Kassette gehört hatte. Wyman
war so beeindruckt von Bombinos Musik, dass er ihn mit nach Amerika
nahm, wo er mit ihm das Album "Agadez" aufnahm, das vor
einigen Monaten auf dem Label Cumbancha
erschien.
Als
2010 die Armee die Regierung stürzte und selbst die Macht übernahm,
wurde ein Friedensvertrag mit den "Kel Tamelgust"-Rebellen
geschlossen und die Emigranten konnten wieder in ihre Heimat
zurückkehren. Wyman und Bombino kamen also wieder nach Agadez, wo
sie die CD und den Film zur gleichen Zeit fertig stellten.
Wie
bereits die erste Generation von Musikern, die das spielen, was sie
"Ishoumar" nennen – eine Ableitung vom französchen
Wort chomeurs (Arbeitslose)
und inzwischen zum Synonym für "Rebellenmusik" geworden –
ist auch Bombinos Sound eine Mischung aus modernen und traditionellen
Elementen. Elektrische Gitarren gesellen sich zu einem gleichmäßigen
Beat und schaffen einen fast hypnotischen Effekt, der den Zuhörer in
einen Sound-Kokon hüllt.
Transzendenz
des Materiellen
Dann
und wann macht sich Bombinos Gitarre auf und davon in ein Solo, das
er in und um den Rhythmus webt – wie ein Ausdruck der
Freiheitssehnsucht seines Volkes.
Im
Gegensatz zu so vielen Gitarrensolos im Rock'n'Roll, die oft wie
Unterbrechungen des Songs wirken, scheinen Bombinos Solos eher wie
emotionale Erweiterungen der Musik, transzendieren das rein
Materielle. So sind sie nicht nur in der Lage, seine Aufgeregtheit
und seinen Enthusiasmus einzufangen, den er für das Versprechen auf
eine bessere Zukunft für sein Volk hegt, sondern können auch eine
Sehnsucht ausdrücken, die einem fast schon das Herz zerreißen kann.
In
Interviews, die im Pressematerial der CD zitiert werden, spricht
Bombino über sein Verhältnis zur Wüste und wie intensiv sie seiner
Inspiration dient und wie sehr er sich, genauso wie sein ganzes Volk,
in ihr zuhause fühlt.
Von
den drei traditionellen Songs auf der CD hat er zwei adaptiert:
"Ahoulaguine Akaline" (Ich grüße mein Land) und "Tenere"
(Die Wüste, meine Heimat). Die Titel sagen einem bereits alles
darüber, wie tief die Verbindung zwischen seinem Volk und der Sahara
ist
Behauptung
der kulturellen Unabhängigkeit
Während
des Aufstandes verbot die nigrische Regierung zunächst die Musik der
"Gitarrenspieler", um sie sodann direkt anzugreifen, weil
ihre Songs angeblich die Botschaft der Rebellion verbreiteten.
Aber
die Lieder sind kein Aufruf zur Waffengewalt, sondern erinnern das
Volk eher daran, stolz auf ihre eigene Identität zu sein und an
ihren Traditionen festzuhalten. So viele der "Kel Tamelgust"
waren wegen der Dürre und dem Verlust ihrer Weidegebiete zugunsten
des Uranabbaus gezwungen, in die Städte abzuwandern, dass diese
Botschaften noch wichtiger wurden: Sie halfen ihnen, sich ihrer
Identität zu vergewissern und flößten ihnen wohl auch Ehrgefühl
und Selbstrespekt ein.
Von
Bombinos eigenem Material sind es zwei Songs, "Tigrawahi Tikma"
(Bring' uns zusammen) und "Azamane" (Meine Brüder,
gemeinsam), die genau zu diesem Zweck geschrieben wurden, nämlich
das eigene Volk dazu zu ermutigen, sich gegen alles zu erheben, was
ihnen ihre Freiheit nimmt oder sie zwingt, ihr gewohntes Leben zu
ändern.
Die
"Kel Tamelgust" haben bis heute überlebt, weil es ihnen
gelang, in einem lebenswidrigen Umfeld zu überleben und weil sie
gelernt haben, sich den wechselnden Realitäten dort anzupassen. Auch
wenn sie über Jahrhunderte hinweg verbissen darum kämpfen, ihre
Unabhängigkeit zu bewahren, wissen sie, dass es immer mehrere Wege
gibt, ihr Ziel zu erreichen. Die Musik Omar "Bombino"
Moctars und die Botschaft seiner Songs an sein Volk gehören dazu.
Sie sind zweifelsohne die stärksten Waffen, die die "Kel
Tamelgust" gegenwärtig in ihrem Arsenal haben.
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