Samstag, 30. April 2011

Der »Damaszener Frühling« fand ein jähes Ende mit der US-Invasion in den Irak 2003


Hintergrund. Seit zehn Jahren verändert sich Syrien, Reformen sind auf allen Ebenen angesagt. Sie greifen langsam, sind aber einschneidend

Die Geschichte Syriens reicht zurück bis ins 9. Jahrtausend vorchristlicher Zeitrechnung. Es war Teil eines Gebiets zwischen den südirakischen Sümpfen am Golf, dem Zagrosgebirge im Osten, dem Mittelmeer im Westen und dem Sinai. Grenzen gab es nicht. Wegen seiner landwirtschaftlichen Entwicklung und Bewässerungskultur und seiner Form nannte man das Gebiet den »fruchtbaren Halbmond«. Syrien wurde zum Transitland für Herrscher aus Ost und West, die es auf der Jagd nach Macht und Reichtum durchquerten. Kulturen aus allen Himmelsrichtungen hinterließen ihre Spuren in Syrien. Den Aramäern folgten die Assyrer, die Neubabylonier, die Perser und schließlich griechische und römische Herrscher. Im 7. Jahrhundert nachchristlicher Zeitrechnung wurde Damaskus zur Hauptstadt der Araber und des Islam. Unter der Herrschaft der Omayyaden-Dynastie erblühte Syrien zu einem wirtschaftlichen, politischen, spirituellen und kulturellen Zentrum. Über die Weihrauchstraße aus dem Süden Arabiens brachten Händler kostbare Gewürze und Perlen, über die Seidenstraße aus dem fernöstlichen China gelangten kunstvoll gewirkte Seidenstoffe auf die syrischen Märkte. Die arabisch-islamische Herrschaft unter wechselnden Dynastien reichte von Indien bis an die Pyrenäen, konnte aber dem Druck europäischer und türkischer Interessen (Seldschuken) nicht standhalten. Am Ende des 11. Jahrhunderts begannen fränkische Kreuzritter ihren Feldzug in der Region, erst 200 Jahre später fand die Invasion ihr Ende.
Die Osmanen eroberten Syrien 1616 und teilten die Provinz in vier Verwaltungseinheiten ein: Aleppo, Damaskus, Tripolis und Sidon (im heutigen Libanon). Das Osmanische Reich dehnte sich schließlich ähnlich weit aus, wie das islamisch-arabische Reich der Omayyaden. Die in Europa entstehenden Nationalstaaten bekämpften die osmanische Expansion und griffen ihrerseits nach Levante und Nordafrika. Europäische Händler, Missionare, Forscher, Reisende lieferten wichtige Informationen, Traumbilder des Orients standen herablassenden Betrachtungen gegenüber. Im 19. Jahrhundert führte Napoleon den europäischen Kolonialismus in Nordafrika und dem Mittleren Osten an. Franzosen, Briten und Italiener teilten die Region in Einflußbereiche auf.
Kolonialismus und Unabhängigkeit
Mit dem Ende des Osmanischen Reiches während des Ersten Weltkrieges suchte Europa »Bündnispartner« in der Region zur Durchsetzung seiner Interessen. Der britische Spion T.E. Lawrence versprach »im Auftrag seiner Majestät« Prinz Faisal aus dem haschemitischen Königshaus in Mekka für seine Kooperation gegen Deutsche und Osmanen arabische Unabhängigkeit. Englisch-arabische Truppen zogen in Damaskus ein (1918), Faisal wurde 1920 von einem provisorischen syrischen Kongreß zum König gewählt. Das geheime Sykes-Picot-Abkommen (1916) hatte jedoch die Region schon unter Frankreich und Großbritannien aufgeteilt. Frankreich erhielt Syrien und den Libanon, England den Irak und Transjordanien/Palästina. Französische Truppen zogen in Damaskus ein und vertrieben Faisal nach Palästina. Der Vertrag von Sèvres bestätigte die neuen Kolonialverhältnisse. Frankreich trennte den Libanon von Syrien und gründete einen neuen Staat »Groß-Libanon«. 1932 wurde das konfessionelle System eingeführt, mit dem die politische Macht bis heute nach Religionen verteilt wird. Das verbliebene Gebiet Syrien wurde von den Franzosen gevierteilt. Es entstanden die Verwaltungsbezirke Aleppo, Latakia (Alawiten), Damaskus und Jebel Druze (Drusen) im Süden. Den nördlichen Bezirk Alexandrette übergab Frankreich 1939 an die Türkei, die daraus die Provinz Hatay machte. Die Syrer lehnten das französische Mandat ab. 1925 begann der syrische Befreiungskampf, den die Franzosen mit aller Macht niederschlugen, 1936 wurde Damaskus bombardiert. 1941 erklärte Frankreichs Staatschef und General Charles de Gaulle Syrien für unabhängig, akzeptierte aber nicht den bei den Parlamentswahlen 1942 gewählten Nationalen Block. Regierungspolitiker wurden verhaftet. 1943 kam es zu Neuwahlen, 1945 wurde Syrien Mitglied der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga. Erst 1946 verließen die letzten französischen Truppen Syrien, das am 17. April seinen Unabhängigkeitstag feiert.
Die westliche Bevormundung im 20. Jahrhundert führte zu Gegenbewegungen und wurde so zum Ausgangspunkt des arabischen Nationalismus und bestärkte die Araber in ihrem Kampf um Unabhängigkeit. Doch Frankreich und Großbritannien hatte strukturelle, wirtschaftliche und politische Spuren hinterlassen, die eine eigenständige nationale Entwicklung in der Region bis heute be- oder verhindert haben und bei Bedarf reaktiviert werden können. Das schwerwiegendste Erbe hinterließ die Balfour-Erklärung (1917), in der Großbritannien sich mit dem Ziel der zionistischen Bewegung einverstanden erklärte, in Palästina eine »nationale Heimstätte« des jüdischen Volkes zu errichten. Das führte zur Gründung des Staates Israels in Palästina 1948, gegen die Stimmen der arabischen Staaten, doch mit Zustimmung der Vereinten Nationen. Seit 1967 hält Israel zudem gegen internationales Recht arabischen Boden besetzt, darunter die Golan-Höhen, die wirtschaftlich, politisch und militärisch für Syrien von strategischer Bedeutung sind. Syrien beharrt auf der Rückgabe. Die 1948 aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinenser lebten in Syrien zunächst in UNO-Flüchtlingslagern, die inzwischen zu veritablen Damaszener Stadtteilen geworden sind. Bis auf die syrische Staatsangehörigkeit genießen die Palästinenser die gleichen Rechte wie Syrer.
Nach der Unabhängigkeit (1946) entstanden neue Parteien, darunter 1947 die Baath-Partei, die 1953 in Arabische Sozialistische Baath-Partei umbenannt wurde. Die innenpolitische Entwicklung verlief unruhig, Parlamentswahlen folgten Putsche, 1951 übernahm das Militär die Macht. 1958 wurde mit Ägypten die Vereinigte Arabische Republik (VAR) gegründet, die aber nur drei Jahre Bestand hatte. Syrien erklärte sich 1961 zur Syrischen Arabischen Republik, 1963 übernahm die Baath-Partei durch einen Staatsstreich die Macht. 1967 besetzte Israel im Sechs-Tage-Krieg die Golan-Höhen, 1970 übernahm Verteidigungsminister Hafiz Al-Assad die Macht in einem unblutigen Putsch und wurde 1971 per Volksabstimmung als Präsident und Generalsekretär der Baath-Partei bestätigt. Dabei blieb es, bis nach seinem Tod 2000 sein Sohn, Bashar Al-Assad, die Nachfolge antrat.
Kein Krieg, keine Krise in der Region gingen an Syrien vorbei. Der Jom-Kippur-Krieg (1973), der Bürgerkrieg im Libanon (1975–1990), der Krieg zwischen Iran und Irak (1980–1988), verschiedene Kriege gegen Irak und Auseinandersetzungen mit der Türkei über das Wasser des Euphrat setzten das Land ständig unter Druck. Als Ägypten und Jordanien Frieden mit Israel schlossen (1977/78), wurde Syrien zur Speerspitze des regionalen Widerstandes gegen Israel, im Rücken ein Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion. Der Druck des Westens gegen Syrien nahm weiter zu, die Machtstrukturen im Land verfestigten sich.
Die wohl größte innenpolitische Herausforderung an Hafiz Al-Assad ging von der Muslimbruderschaft aus, die sich 1982 in Hama gegen die Herrschaft der alawitischen Assad-Familie auflehnte. Die Alawiten sind eine Randgruppe der schiitischen Muslime und vor allem in Westsyrien (Latakia) vertreten. Assad schickte das Militär, Tausende wurden getötet, die Muslimbruderschaft wurde verboten. Säkularismus ist seitdem unantastbares Gebot in Syrien. Christen, Muslime, Alawiten, Ismailiten, Jesiden, Drusen, Juden, alle Religionen werden respektiert und keine darf sich in die Politik einmischen. Das gleiche gilt für die verschiedenen Volksgruppen, die syrische nationale Identität ist unantastbar. Kurden, Türken, Armenier, Tscherkessen, Assyrer, Libanesen, Iraker, alle dürfen ihre traditionellen Feste feiern und ihre Sprache sprechen. Doch manchen wird die syrische Staatsangehörigkeit verweigert, keine Gruppe darf sich mit nationalistischen Forderungen in die Politik einmischen. Genau hier verläuft die »rote Linie«.

Wirtschaftliche Entwicklung
Die Bevölkerung Syriens wächst schnell. 1999 lebten dort 17,2 Millionen, 2009 knapp über 21 Millionen Menschen. Hinzu kommen rund eine Million irakische Flüchtlinge und etwa 500000 palästinensische Flüchtlinge (1948 und Nachfahren).
Syrien ist ein Agrarstaat; Landwirtschaft und der Anbau von Baumwolle zur Textilherstellung, Obst, Gemüse und Tabak haben dem Land jahrzehntelang ein Auskommen gewährt. Eine langjährige Trockenheit, das Fehlen der wasserreichen Golan-Höhen und das Bevölkerungswachstum haben zu einer enormen Wasserknappheit geführt, was Landwirtschaft und Baumwollanbau einschränkt. Rund 55 Prozent Syriens gilt als Steppe, wo etwa 1,5 Millionen Beduinen von der Viehwirtschaft lebten. Die Trockenheit macht aus den Steppen Wüsten, was im nordöstlichen Hassake zu einer dramatischen Landflucht führt. Die großen Städte Syriens sind in den letzten Jahren explosionsartig gewachsen. Damaskus muß heute offiziell 4,12 Millionen Einwohner mit Strom, Wasser, Arbeit, Schulen, Krankenhäusern und Nahrungsmitteln versorgen. Inoffiziell dürften es rund sieben Millionen sein, die Armengürtel um die Städte werden immer größer. Bis 2050 werden schätzungsweise 75 Prozent der syrischen Bevölkerung in Städten leben.
Öl ist – neben Wasser – der wichtigste Rohstoff, die nationalen Reserven liegen laut Ölministerium bei 2,4 Milliarden Barrel. Zwischen 1980 und 1996 stieg die Fördermenge bis auf 600000 Barrel pro Tag kontinuierlich an. Seitdem ist ein Rückgang zu verzeichnen. Der neueste Regierungsplan schätzt den Rückgang der Ölproduktion in den nächsten 15 Jahren auf bis zu 34 Prozent, mit dramatischen ökonomischen Folgen. Neben einer Modernisierung von Fördertechnologie und der Suche nach weiteren Vorkommen zu Land und im Mittelmeer sollen die Gasressourcen besser genutzt werden, die auf 280 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden. Derzeit liegt die Gasproduktion bei 22,3 Millionen Kubikmeter pro Tag.
Der Tourismus ist in den letzten Jahren eine wichtige Einkommensquelle für Syrien geworden und macht nach offiziellen Angaben heute 13 Prozent der syrischen Arbeitsplätze aus. Jede regionale Krise macht sich auf dem sensiblen Markt bemerkbar, seit Anfang des Jahres flattern Absagen auf die Schreibtische syrischer Tourismusanbieter. Absolute Tiefpunkte für den Tourismussektor waren die Jahre nach der US-Invasion in den Irak 2003 und der Libanonkrieg 2006.
Die Umstellung der syrischen Planwirtschaft auf die freie Marktwirtschaft hat in den letzten Jahren neue Arbeitsplätze und einen aufstrebenden Privatsektor geschaffen. Wirtschaftliche Eliten, auch aus und um die Familie Assad, profitieren nicht zuletzt durch Korruption. Der elfte Fünfjahrplan, der Anfang 2011 in Kraft trat, sieht die Schaffung von 1,25 Millionen neuen Arbeitsplätzen vor. Frauen sollen besonders berücksichtigt werden, erläuterte der ehemalige Stellvertretende Ministerpräsident für Wirtschaft, Abdullah Al-Dardari im Interview mit der Monatszeitschrift Syria Today (Januar 2011). Gleichzeitig sollen Subventionen weiter abgebaut, eine Mehrwertsteuer eingeführt und die Kosten für Strom und Wasser »umverteilt« werden, um dem Staat weitere Einnahmen zu sichern. Dardari wurde mit der gesamten Regierung kürzlich entlassen. Viele Syrer machten ihn dafür verantwortlich, daß das Leben in Syrien immer teurer und die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wurde. In dem genannten Interview hielt Dardari dem entgegen, daß der Konsum insbesondere in einer neu entstandenen Mittelschicht gestiegen sei. Das beweise, daß die Einkommen mehr gestiegen seien als die Preise.

Trotz spür- und sichtbarer wirtschaftlicher Entwicklung bleibt die Aussicht auf gut bezahlte Arbeit gering, und so verlassen noch immer viele Syrer ihre Heimat auf der Suche nach Arbeit. Die Mehrheit verdingt sich in den benachbarten arabischen Staaten, am Golf, in Saudi-Arabien, im Libanon, in Jordanien, Ägypten und Libyen. Auch die Türkei und Zypern bieten Syrern Arbeit. Jenseits der arabischen Welt leben Millionen Syrer in Lateinamerika, in den USA und Kanada, aber auch in Europa. Die Auslandssyrer tragen wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes bei, indem sie ihre syrischen Familien finanziell unterstützen. Der Staat hat in den letzten Jahren Vorschriften gelockert – zum Beispiel bei Einreisevisa und bei der Wehrpflicht – und Angebote gemacht, um die finanzstarke und wissenschaftliche Elite der Auslandssyrer zur Rückkehr oder zu Investitionen in ihrer Heimat zu bewegen.
»Damaszener Frühling«
Daß weniger Menschen von den Angeboten Gebrauch machen, als erhofft, hat verschiedene Gründe. Gut verdienende Auslandssyrer müssen Abstriche beim Einkommen machen und sind oft mit ausgeprägtem Hierarchiedenken und einer undurchsichtigen Bürokratie konfrontiert. Der Lebensstandard in Syrien hat sich verbessert, die Situation im Schul- und Gesundheitswesen läßt jedoch zu wünschen übrig. Leben in Syrien bedeutet zudem für Menschen, die gewohnt sind, frei politisch denken und handeln zu können, eine große Umstellung. Der Ausnahmezustand schränkt Presse-, Organisations-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein. Die in der Verfassung verankerte führende Rolle der Baath-Partei halten viele für überholt.
Bashar Al-Assad war das klar, als er 2000 die Nachfolge seines Vaters antrat. Der in London ausgebildete Augenarzt hatte das Amt nicht angestrebt, doch die herrschende Familie Assad und das mit ihr verbundene Macht- und Interessensgeflecht, ließen ihm offenbar keine Wahl. Die Umbrüche der damaligen Zeit, das Ende der bipolaren Weltordnung, wirkten sich zunächst günstig für den reformorientierten Assad aus. Mit seinen 35 Jahren weckte er bei der Jugend Syriens – 60 Prozent der Syrer sind jünger als 25 Jahre – Hoffnungen auf Veränderung. Assad verschaffte ihnen Zugang zu Mobiltelefonen, Internet und Satellitenfernsehen, was unter seinem Vater strikt verboten war. Etwa 15 Prozent im hochschulfähigen Alter studieren, die Zahl der Internetnutzer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung beträgt ebenfalls 15 Prozent. Assad ermutigte die Syrer, sich an Diskussionen über politische Reformen zu beteiligen, im ganzen Land entstanden Salons, in denen über die Aufhebung des Ausnahmezustands, eine neue Verfassung, die Zulassung neuer Parteien und ein neues Verhältnis zum Libanon debattiert wurde. Unter der Schirmherrschaft der Präsidentengattin entstanden zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, in denen sozial engagierte junge Leute viele ihrer Vorstellungen verwirklichen können.
Der »Damaszener Frühling« fand ein jähes Ende mit der US-Invasion in den Irak 2003. Die Furcht vor einer Ausweitung des Krieges gegen Syrien war nicht abwegig, der damalige britische Premierminister Tony Blair gab kürzlich zu, daß eine Syrien-Invasion zwischen ihm und dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush erwogen worden war. Der Ausnahmezustand wurde mit voller Macht reaktiviert, Geheimdienste und Sicherheitskräfte übernahmen das Ruder. Diskussionszirkel und Salons wurden geschlossen, prominente Reformer verhaftet, das Internet schärfer kontrolliert. 2004 verhängten die USA eine Wirtschaftsblockade gegen Syrien, wegen »Unterstützung des Terrorismus«. Gemeint sind die strategischen Beziehungen zwischen Sy­rien und Iran und die Unterstützung Syriens für den Widerstand der Hisbollah (Libanon) und der Hamas (Gaza). Die noch immer geltenden Sanktionen umfassen ein Verbot von Handel und Geldtransfer; Flugverbindungen zwischen Syrien und den USA gibt es nicht.
Für den Mord an dem früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri (14.2.2005) machte der Westen, allen voran die frühere Kolonialmacht Frankreich, Syrien und Bashar Al-Assad persönlich verantwortlich, die innenpolitische Repression verschärfte sich wieder. Assad rief die im Libanon unbeliebt gewordenen syrischen Truppen zurück, doch der westliche Druck hielt an. Die EU legte ein fast unterschriftsreifes Assoziierungsabkommen mit Syrien auf Eis. Assad wies die Anschuldigungen zurück und änderte seine Politik gegenüber dem Libanon. Unter Vermittlung Katars und Frankreichs nahmen Syrien und Libanon 2008 diplomatische Beziehungen auf. Präsident Nicolas Sarkozy lud Assad nach Paris zum Gründungstreffen der Mittelmeerunion ein, Syrien war zurück auf der internationalen Bühne. Dafür dürfte nicht zuletzt die von der Türkei vermittelte Wiederaufnahme von indirekten Gesprächen zwischen Syrien und Israel beigetragen haben, die Syrien allerdings unmittelbar mit Beginn der israelischen Offensive gegen den Gazastreifen (Dezember 2008) stoppte. Eine aktive Bündnispolitik hat Syrien weltweit neues Ansehen verschafft. Das Land ist heute politisch und wirtschaftlich nicht nur mit Iran und Katar, sondern auch mit Rußland, Japan, China und neuerdings auch mit Lateinamerika eng verbunden. Engste Beziehungen hat Syrien mittlerweile auch zur Türkei.
Die Schlüsselrolle Syriens im Nahost-Friedensprozeß wird mittlerweile von den USA (und der EU) anerkannt. Deren Strategie in der Region ist gescheitert; das zeigen nicht zuletzt die Aufstände in Tunesien, Ägypten, Jemen und Bah­rain, zentrale Stützpfeiler des US-Militärs, die ins Wanken geraten sind. In Syrien ging zu diesem Zeitpunkt kaum jemand auf die Straße. Assad hatte Anfang des Jahres Sozialprogramme in Kraft gesetzt und politische Gefangene amnestiert.
Recht, zu protestieren
Kaum hatte man im Februar das 2007 verbotene »soziale« Medium Facebook wieder zugelassen, rief eine anonyme Webseite »Revolution Syrien 2011« zum Aufstand auf. In der südlichen Provinzhauptstadt Deraa kam es Mitte März zu Protesten, nachdem einige Jugendliche, die Parolen gegen den Präsidenten gesprüht hatten, festgenommen worden waren. Polizei und Sicherheitskräfte griffen ein, es gab Tote und Verletzte, die Proteste weiteten sich aus. Auch in Homs und Lattakia kam es zu Auseinandersetzungen. Assad setzte die für den Schußwaffeneinsatz verantwortlichen Personen ab und verbot scharfe Munition. Regierungsvertreter besuchten die Angehörigen der Toten, trafen sich mit der Bevölkerung, die Jugendlichen wurden freigelassen. Assads Sprecherin kündigte weitreichende Reformen an. Ein Gesetz zur Aufhebung des Ausnahmezustandes soll in Kürze vorgelegt werden, ebenso ein neues Parteiengesetz und ein schärferes Gesetz gegen Korruption. Hunderte Gefangene wurden entlassen, das Verbot für Lehrerinnen, einen Gesichtsschleier im Unterricht zu tragen, soll zurückgenommen werden. Kurden sollen volle Arbeitsrechte erhalten, ihr Status als »Staatenlose« soll beendet werden. Assad entließ die Regierung und warnte vor einer ausländischen Verschwörung, die das Land destabilisieren solle. Das bedeute aber nicht, so Assad, dass die Syrer keinen Grund und nicht das Recht hätten, zu protestieren.

Danke Junge Welt
Quelle: 
http://www.jungewelt.de/2011/04-08/019.php?sstr=wandel|in|damaskus
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 08/04/2011
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: 
http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=4625 

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