Sonntag, 16. August 2009

Zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise

Erklärung der Kommission Globalisierung und soziale Gerechtigkeit


AUTOR: PAX CHRISTI

Inzwischen ist deutlich, dass mit der Finanzkrise der schlimmste Wirtschaftseinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik verbunden sein wird. Exporte und Auftragseingänge sind dramatisch zurückgegangen, der Inlandsnachfrage fehlt es an Kaufkraft. Firmen stehen vor dem Aus mit der Folge wachsender Arbeitslosigkeit und Armut für viele Menschen. Für die Länder der Zweidrittelwelt ist das Ausmaß der Krise unvergleichlich dramatischer. Die Ursachen der Wirtschaftskrise werden in der politischen Diskussion vereinfacht in der mangelnden Regulierung der Finanzmärkte sowie auf der persönlich-moralischen Ebene in der Gier von Managern und Bankern verortet. Stattdessen käme es darauf an, die gegenwärtige Krise als Systemkrise des kapitalistischen Wirtschafts- und Lebensmodells zu begreifen und nach Strategien zu suchen, die Menschen vor den akuten Folgen der Krise zu schützen und gleichzeitig Perspektiven "jenseits` des kapitalistischen Paradigmas der Vermehrung des Kapitals um seiner selbst willen zu suchen.

1. Wie ist es zu dieser weltweiten Finanzkrise gekommen?
Ende der 1990er Jahre platzte die Technologieblase an den Finanzmärkten und es kam zu einer Rezession. Innerhalb kurzer Zeit senkte die US-Notenbank die Leitzinsen von 6,5% auf 1 %. Als Effekt entstand eine Immobilienblase, d.h. eine Nachfrage nach Immobilien, deren Preise wesentlich höher lagen als der reale Wert.
Durch die billigen Zinsen und die großzügigen Hypothekenangebote der Banken kauften viele US-Amerikaner Immobilien, schuldeten um oder nahmen weitere Schulden auf. Die Banken vergaben Kredite, obwohl sie wussten, dass viele Schuldner diese nicht würden zurückzahlen können. Durch die Spekulation stiegen die Häuserpreise stark an.
Die "faulen" Kredite oder sog. "Subprime"- (=minderwertige) Hypotheken wurden den Regionalbanken von den Investmentbanken abgekauft und in Wertpapierpaketen mit anderen Wertpapieren zusammengefasst und Ansprüche auf diese für die Märkte handelbar gemacht (verbrieft).
Andere Banken und Finanzinvestoren weltweit kauften diese Papiere, teilweise in großem Ausmaß.
Die drei großen Ratingagenturen (Standard & Poor`s, Moody`s, Fitch Ratings) hatten diese Kreditverbriefungen als sicher eingestuft, nachdem sie die Anbieter vorher in Bezug auf den Verkauf beraten hatten. Viele Manager kauften diese Papiere, um große Gewinne und für sich damit hohe Boni zu erzielen.
Schließlich sorgten die Zinserhöhungen der US-Notenbank ab 2006 dafür, dass viele Immobilienbesitzer ihre Schulden nicht bezahlen konnten, der Wert der Häuser rapide sank und viele sich auch nicht verkaufen ließen. Viele Banken brachen zusammen. Aufgrund des fehlenden Vertrauens liehen sich die Banken untereinander kein Geld mehr. Überall auf der Welt, besonders in den USA und Europa besitzen Banken Subprime-Kredite, ohne zu wissen, wie viele davon noch wertlos sind. Die Verluste betragen bisher mindestens 1,8 Billionen Dollar. Geschätzt werden, dass weitere 900 Mrd. Euro an Kreditkartenschulden abgeschrieben werden müssen.
Die Situation vor dem Crash war gekennzeichnet durch die riesigen Schulden der USA, des Staates und der Bürger; die USA führte täglich 2 Milliarden Dollar ein, um sich die Ausgaben des Staates und die Ausgaben für privaten Konsum leisten zu können. Die Finanzmärkte transportierten die Ersparnisse von anderswo in der Welt in die USA, die mit attraktiven Zinsen lockten und mit ihrer militärischen und politischen Macht Sicherheit versprachen. Mit der Blase ist die Illusion einer Finanzierung staatlicher und privater Ausgaben durch realwirtschaftlich nicht gedeckte Kapitalakkumulation geplatzt.
2. Welche tieferen Ursachen hat die Krise?
Die Finanzkrise ist ein Ergebnis der bereits seit mehreren Jahrzehnten bestehenden neuen Krise des Kapitalismus. Etwa seit Beginn der 80 er Jahre wird menschliche Arbeit in einem bisher neuen Maße durch Informations- und Steuerungstechnologien (mikroelektronische Revolution) überflüssig gemacht. Dieser Produktivitätsfortschritt ist untrennbar mit struktureller Arbeitslosigkeit verbunden. Immer mehr Menschen werden für die Verwertung des Kapitals "überflüssig". Da aber nur durch den Einsatz von Arbeit Wert und Mehrwert geschaffen werden können, geht mit der Arbeit dem Kapital die Substanz für seine weitere Akkumulation aus. Die Finanzkrise ist so eine Krise der Realwirtschaft.
Die kapitalistische Konkurrenz lässt bei Strafe des Untergangs einen einzelwirtschaftlichen Ausstieg aus der Jagd nach Vorteilen durch die Steigerung der Produktivität nicht zu. Der Zwang zum Produktivitätsfortschritt verbunden mit den Lohnsenkungen und der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von den Lohn- zu den Gewinn- und Vermögenseinkünften, die die meisten Staaten der Industrieländer in den letzten Jahrzehnten massiv vorangetrieben haben, haben zu einer "Überproduktionskrise" und einer "Unterkonsumtionskrise" geführt: Mit den vorhandenen Produktionskapazitäten können mehr Waren produziert (und Dienstleistungen angeboten) werden als gewinnbringend abgesetzt werden können. Dadurch zirkulieren weltweit große Mengen an Kapital, die nach profitablen Verwertungsmöglichkeiten suchen.
Vor dem Hintergrund der Krise der Realwirtschaft werden verschiedene Strategien entwickelt, Kapital profitabel einzusetzen: Dazu gehören die "Globalisierung" als Ermöglichung neuer Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals durch Einbezug neuer Staaten und Regionen in die kapitalistische Verwertung und das Ausnutzen dort vorhandener billiger Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen; die Privatisierung öffentlicher Güter (Strom, Telekommunikation, Bahn, kommunale Einrichtungen usw.) und eben auch als besonders lukrative Strategie die Spekulation auf deregulierten Finanzmärkten, die sich angesichts der immer neuen Zusammenbrüche für viele Menschen in der Zweidrittelwelt, aber nun auch für größere Teile der Bevölkerung im Norden als fatal erwiesen hat.
In der aktuellen Krise zeigt sich die Systemgrenze des Kapitalismus, die den Globus sozial und ökologisch in den Ruin treibt und die Eskalation von Gewalt befördert.
3. Welche Rolle spielt die Politik?
Die Finanzgarantien des Staates zielen darauf ab, das Vertrauen der Banken untereinander wieder herzustellen und den Wirtschaftskreislauf anzukurbeln. Die Regierungen haben dabei die Hoffnung, dass nur ein geringer Teil der Gelder der Rettungspakete in Anspruch genommen wird. Zudem sind die Staaten immer mehr mit Hilferufen aus der einbrechenden Realwirtschaft konfrontiert.
In einer Situation, in der die Politik zur Bewältigung der Krise herangezogen wird, sollte nicht vergessen werden: Es war die Politik, die die Finanzmärkte von vielen Regelungen "befreit" haben. Damit sollte den dort tätigen Akteuren der Weg zu schnellen und hohen Profiten geebnet werden. Weder wurde auf eine funktionierende Bankenaufsicht geachtet noch darauf, dass Banken genügend Eigenkapital besaßen. Die Politiker wussten dabei seit langem um die Risiken, die sie dabei eingingen.
Die Verantwortung des Staates und der Politik beim Zustandekommen der Finanzkrise wirft ein bezeichnendes Licht auf ihre Rolle im kapitalistischen System: Sie sind in erster Linie dem Systemerhalt verpflichtet. Um in der Krise der Realwirtschaft neue Verwertungsmöglichkeiten zu schaffen, wurden die Finanzmärkte dereguliert. In der gleichen Logik ist die Politik nach dem Zusammenbrauch der Finanzblasen nun gefordert, Schäden zu begrenzen und zu reparieren. Dies geschieht in der Hoffnung auf neue Potentiale in der Realwirtschaft. Diese Hoffnungen dürften sich aber angesichts der mit der mikroelektronischen Revolution erreichten inneren Grenze kapitalistischer Akkumulation als Illusion erweisen. Es ist daher zu befürchten, dass Politik immer mehr zur Krisenverwaltung wird, deren Kosten durch die Steuerzahler und einen immer weitergehenden Sozialabbau aufgebracht werden sollen. Je stärker Sozialpolitik durch Sicherheitspolitik ersetzt wird, desto mehr drohen autoritäre Formen der Krisenverwaltung, in denen Politik versucht sein könnte, zu immer antidemokratischeren und repressiveren Maßnahmen der Krisenverwaltung zu greifen. Die Grenzen realwirtschaftlicher Akkumulation markieren auch die Grenzen staatlichen Handelns.
4. Welche Forderungen sind jetzt sinnvoll?
Das Gebot der Stunde ist es also heute, die Krise der Finanzmärkte als eine der Krisen des Kapitalismus zu begreifen, dessen zerstörerische Folgen immer deutlicher werden. Soll ein Leben für alle Menschen in materieller Sicherheit und Würde möglich sein, ist der Bruch mit einem Gesellschafts- und Lebensmodell nötig, das auf der Akkumulation des Kapitals um seiner selbst willen gründet. Wird der Globus weiter den Gesetzen der Verwertung des Kapitals unterworfen, wird es weder möglich sein die Menschheit noch die Schöpfung zu bewahren. Die inneren Grenzen des kapitalistischen Systems offensiv zu thematisieren ist eine wichtige Herausforderung, der sich soziale Bewegungen verstärkt stellen müssen.
Trotz des offensichtlichen Scheiterns des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells zielen die Maßnahmen der Regierungen darauf ab, das System, das die gegenwärtige Krise verursacht hat, durch staatliche Interventionen aufrecht zu erhalten. Dazu werden Hunderte von Milliarden Dollar, Euro usw. zur Rettung von maroden Banken und Firmen zur Verfügung gestellt, die im Interesse sozialer Gerechtigkeit und für Investitionen in Bildung und den ökologischen Umbau der Gesellschaft nie zur Verfügung gestellt wurden.

Es ist abzusehen, dass die aktuelle Krise die bereits vorhandenen sozialen Verwerfungen verschärfen wird - in die Industrienationen und noch mehr in der Zweidrittelwelt. Daher erscheinen Maßnahmen richtig, die die Auswirkungen der Krise auf von Arbeitslosigkeit und Armut bedrohte Menschen mindern. Ziel muss es sein, die Kritik des Kapitalismus und die Notwendigkeit der Suche nach Alternativen mit dem Kampf für die Verbesserung der Lebenssituation der "Überflüssigen", MigrantInnen, ArbeitnehmerInnen usw. zu verbinden.

Auf globaler Ebene ist gefordert:
In Bezug auf das Finanzsystem sind zunächst Schritte zu einer starken Regulierung der Finanzmärkte und der Banken sinnvoll. Banken sollten in öffentliches Eigentum überführt und demokratisch kontrolliert werden.
Maßnahmen zur Bekämpfung der Spekulation wie Steuern auf Finanztransaktionen sollten endlich umgesetzt werden.
Es ist die Zeit, aus der gefährlichen Privatisierung sozialer Sicherung und öffentlicher Güter auszusteigen. Die kapitalgedeckte Rente (in Deutschland als "Riester-Rente" bekannt) sollte genauso abgeschafft werden wie eine Privatisierung der Bahn verhindert werden sollte.
Es sollte da investiert werden, wo es im Interesse der Menschen sinnvoll ist: in den ökologischen Umbau, in den Ausbau eines Bildungssystems, das tatsächlich alle Kinder fördert, und der frühkindlichen Betreuung, in ein allgemeines und solidarisches Gesundheitssystem u.v.m.
Im Blick auf Deutschland konkretisieren sich diese Forderungen vor allem im Blick auf die Agenda 2010 und die Hartz IV-Regelungen:
Die Politik der Agenda 2010 mit ihren Angriffen auf Kündigungsschutz, Löhne, Tarifrecht usw. muss zurückgenommen werden.
Die Hartz IV-Regelungen müssen abgeschafft und die Grundsicherung für ein Leben in Würde ebenso wie ein gesetzlicher Mindestlohn durchgesetzt werden.
Diese Maßnahmen und Forderungen müssen so erkämpft werden, dass sie einen Weg weisen, der über das kapitalistische System hinaus weist. Kapitalistische Krisen können auf Dauer nicht durch Reformmaßnahmen, sondern nur dann verhindert werden, wenn die Menschen lernen, ihre Belange nicht den Unternehmen, Banken und dem Staat zu überlassen, sondern in die eigene Hand zu nehmen.
E-Mail: sekretariat (at) paxchristi (Punkt) de
Website: www.paxchristi.de

Quelle: http://www.paxchristi.de/news/kurzmeldungen/one.news.km/index.html?entry=page.news.km.510

Originalartikel veröffentlicht am 1.6.2009

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