Wo nimmt sich Herr Barroso die Legitimation her, das Programm des vom französischen Volk abgefertigten Kandidaten Sarkozy wieder aufzunehmen, und insbesondere von den FranzosInnen noch mehr - elegant als „zusätzliche Bemühungen“ bezeichnete - Opfer zu fordern, weil Haushaltsdefizite unbedingt reduziert werden müssen? Das Recht, eine Zunahme der Steuergelder zu verbieten, insbesondere durch eine stärkere Besteuerung des Kapitals, und dafür die Erhaltung der Mehrwertsteuererhöhung und der Steigerung der „Besteuerung des Verbrauchs“ - beide Maßnahmen von Sarkozy - zu verlangen?
Schlimmer noch: das Recht, Frankreich mit einem Verfahren wegen „Überschreitung der Defizitgrenze“ oder „makroökonomischen Ungleichgewichtserscheinungen“ zu drohen, wenn es auf ihre Diktats nicht eingeht, insbesondere mit Hinblick auf die soziale Deregulierung: u.a. wird „empfohlen“, dass der unbefristete Arbeitsvertrag abgeschafft, die Transport- und Stromnetzwerke stärker in Konkurrenz gesetzt, bisher immer noch unter Regelung stehenden Berufe prekarisiert, das Kündigungsrecht flexibler gemacht, jede Lohnerhöhung verboten im Namen des Dogmas der Senkung der „Kosten der Arbeitskraft“, das Rentenalter angehoben werden?
Ebenso legitim sind solche Forderungen wie glaubwürdig solche Rezepte, die bei den Völkern der EU eine soziale Katastrophe verursacht und mehrere Länder - so z.B. Griechenland, Portugal, Spanien und Italien, von Irland ganz zu schweigen - in die Rezession geführt haben.
Rezepte, die gerechtfertigt wären im Namen einer illegitimen Schuld, die die Gefräßigkeit der Privatbanken - von der EZB außerhalb jede demokratische Kontrolle der BürgerInnen andauernd reichlich beschenkt - welche anhand von Wuchersätzen und Finanzkosten Länder ausplündern, die des fundamentalen Souveränitätswerkzeugs der Währungskontrolle beraubt wurden.
Schulden, die die Plünderung der durch die Arbeit erzeugten und die Erpressung der Völker angehäuften Reichtümer rechtfertigen würde, zur Aufrechterhaltung der Profite der Finanzgeier, einhergehend mit einer Explosion des Elends und der Prekarität sowie der Vernichtung aller sozialen Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts.
Jene Rezepte wurden von mehreren Urnengängen in verschiedenen Ländern verworfen, und das ebenso in jenen mit einer rechten Regierung - Frankreich, Deutschland, Italien oder Irland - als in denen, wo die Sozialdemokraten sich in diese zerstörerische Logik willig gefügt haben und entsprechend politisch abgewiesen wurden - Portugal, Griechenland oder Spanien.
Auf Grund der bei der Verabschiedung des „Europäischen Beschäftigungspakts“ verkündeten Absichten: „es sollen anständige und faire Löhne gesichert werden, zur Vermeidung von Situationen, wo die Menschen mit niedrigen Löhnen andauernd auskommen müssen“ oder „Arbeitsunsicherheit muss reduziert werden“ haben sie folgende Fragen gestellt mit Hinblick auf die Empfehlungen an Spanien und Portugal, insbesondere jene, die die Reduzierung des „Arbeitnehmerentgelts“ und der maximale Leistungszeitraum für Arbeitslose betreffen:
1/ Eingedenk der Tatsache, dass die portugiesischen Löhne bereits zu den niedrigsten in der EU zählen, und Ihrer derzeitigen Empfehlungen, was meint die Kommission mit „es sollen anständige und faire Löhne gesichert werden, zur Vermeidung von Situationen, wo die Menschen mit niedrigen Löhnen andauernd auskommen müssen“ ?
2/ Wissen Sie, wie viele unter den Millionen Portugiesen, die als arm eingestuft werden, berufstätig sind? Mit anderen Wörtern: wisst Ihr, wie viele Portugiesen heute als arm eingestuft sind, weil sie niedrige Löhne beziehen?
3/ Wissen Sie, welche Prozentzahl des nationalen Reichtums in Portugal den Löhnen zufließt? Wissen Sie, dass dieser Anteil der Löhne in den letzten Jahren andauernd gesunken ist und nunmehr unter 50% liegt?
4/ Sind Ihnen die Daten über Langzeitarbeitslosigkeit und deren Entwicklung bekannt? Wie können Sie im Lichte solcher Zahlen Ihren Antrag rechtfertigen, den maximalen Leistungszeitraum für Arbeitslose zu kürzen und hiermit die der Arbeitslosigkeit zu Opfer gefallenen Erwerbspersonen um Geldleistungen zu bringen, auf die sie doch ein Recht haben, da sie als Erwerbstätige dafür einen Beitrag gezahlt haben?
Demokratie steht unter der Führung eines Quartetts Persönlichkeiten, die - wenn auch nicht gewählt - die europäischen Institutionen leiten: gemeint werden der Vorsitzende der Europäischen Zentralbank, Herr DRAGHI, der Vorsitzende der Europäischen Kommission, Herr BARROSO, der Präsident des EU-Rats, Herr VAN ROMPUY, und der Vorsitzende der Eurogruppe, Herr JUNCKER. Nicht nur will jenes Quartett den von Herrn Sarkozy und Frau Merkel initiierten Austeritätsvertrag aufzwingen, nicht nur verhehlt es der Öffentlichkeit zwei geplante Regelungen, die der Kommission die Vollmacht über die nationalen Haushalte verleihen, sondern nun nimmt es sich auch vor, den großen Sprung in den neoliberalen europäischen Föderalismus zu machen, anhand von einem Plan, der um vier Achsen artikuliert wird:
- eine Bankenunion wird ins Leben gerufen zur Stärkung der Währungsunion und Unterstützung der Finanzmärkte;
- das Arbeitsrecht wird frontal in Frage gestellt zur „Flexibilisierung der Arbeitsmarktregeln und Abschaffung aller Zollschranken“. Also totale Deregulierung und ungezügelter Wettbewerb zur Steigerung der Kapitalsprofite;
- Drittens wird eine „Haushaltunion“ ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die Sparpolitiken zu stärken und unter dem Vorwand der „Haushaltsdisziplin“ allen nationalen Regierungen aufzuzwingen;
- Und - „ last but not least“ - nehmen sich die Gebrüder Dalton der EU vor, eine „politische Union“ ins Leben zu rufen - versteh: die europäischen Institutionen - d.h. sich selber- zu bevollmächtigen, den Totalitarismus der Austerität einzuführen.
Das aber scheint die Skribenten nicht zu verunsichern, die für jene Neufassung der „Schönen neuen Welt“ schwärmen. Eher zeigen sie sich begeistert dafür.
Angesichts der in Frankreich aber auch in Griechenland bevorstehenden bedeutenden Urnengängen, geht es mehr denn je darum, davor zu warnen, was für gravierende Gefahren die derzeitige Situation in sich birgt und was auf dem Spiel steht. Offensichtlich passt in einen solchen Rahmen - eine Fortführung des Lissabonner Vertrags, seinerseits eine andere Form des Europäischen Verfassungsvertrags, der 2005 vom französischen Volk abgelehnt wurde, - keine echte linke, den Erwartungen des Volkes entsprechende Politik.
Politischer Mut, diesen Joch zu brechen ist einzig und allein im Stande, der EU- Linke und den EU-Völkern auf politischer Ebene eine Zukunft zu eröffnen und die gravierenden Gefahren zu entfernen, die nicht nur die Sozial- und gemeinschaftlichen Rechte sondern auch unsere Grundfreiheiten bedrohen.
Quelle:http://tlaxcala-int.org/article.asp?reference=7464
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 06/06/2012
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht:http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=7521
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