Von ganz oben kommt die Order, bei der Jagd auf Osama Bin Laden sogenannte "verschärfte Verhörtechniken" anzuwenden. Laut Justizministerium keine Folter. Erlaubt sind: Dunkelhaft, Kälte, Hitze, schmerzhafte Körperpositionen, Dauerbeschallung. Glenn Carle reist in das Geheimgefängnis. Monatelang befragt er seinen Gefangenen, 14 Stunden am Tag. Er sagt, er selbst habe die verschärften Methoden nie angewandt – weil er sie für Folter hält: "Es ist schockierend, wie schnell man jemanden in Wahnvorstellungen treiben kann. Diese Methoden, die mit Temperaturschwankungen, Schlafentzug, Lärm und Zeit spielen, bringen einen Menschen um den Verstand. Genau das ist mit meinem Häftling im zweiten Geheimgefängnis geschehen, das unter CIA-Leitung stand und wo ich keine Verfügungsgewalt mehr hatte."
Hotel California ist sein Code-Wort für das berüchtigte Geheimgefängnis in Kabul, in das sein Gefangener verlegt wird. Die Folterungen, die wir von den Bildern aus Abu Ghraib im Irak kennen – hier sind sie gang und gäbe. Dass sie von der CIA in Afghanistan systematisch angewandt wurden, bestätigt der UNO-Folterexperte Manfred Nowak. Im Dunkelgefängnis von Kabul stellten sie die ganz normalen Haftbedingungen dar.
"Wir haben genauestens untersucht, haben viele Interviews mit Ex-Häftlingen gemacht: Leute, die über lange Zeit hinweg, zum Teil bis zu elf Monaten eingesperrt waren, an Händen und Füssen gefesselt, in völliger Dunkelheit. Das heißt, die konnten die Wand nicht sehen, die mussten, so weit sie sich bewegen konnten, tasten, wo die Wand ist", sagt Manfred Nowak, ehemaliger UNO-Sonderbeauftragter für Folter.
Glenn Carle erlebt, wie sein Gefangener mental gebrochen wird – und begreift schockiert, dass er selbst Teil von etwas geworden ist, das er ablehnt. Das Schlimmste ist: Er ist längst überzeugt, dass der Mann unschuldig ist. Er bricht den Auftrag ab, aber kann den Gefangenen nicht retten.
"Ich erinnere mich, wie ich nach meinem ersten Verhör im Hotel California dachte: was ist aus mir geworden, und was ist aus meinem Land geworden? Die Regierung, die ich mit meinem Eid zu schützen geschworen habe, ist nicht mehr die Regierung, für die jeder sie hält. Und niemand weiß das. Deshalb war es meine Pflicht, dieses Buch zu schreiben", so Carle.
Immer wieder muss Glenn Carle der CIA sein Manuskript vorlegen, werden Passagen zensiert. Bei Erscheinen erregt das Buch in den USA riesiges Aufsehen. Journalisten finden heraus, dass Carles Häftling der paschtunische Bankier Pascha Wazir ist, der sieben Jahre unschuldig in Geheimhaft war. Die fatalen Folgen der amerikanischen Folterpolitik sind global. Statt hilfreiche Informationen im Kampf gegen Terroristen freizupressen, wurden den Extremisten Rechtfertigungen für ihr eigenes Handeln gegeben.
"Das viel Nachhaltigere war, dass in vielen Staaten der Welt, die immer schon gefoltert haben oder zumindest ein bisschen, jetzt plötzlich die Botschaft ankam: dass das Land, in dem die Menschenrechte erfunden wurden, das sie sich selbst auf die Fahne schreibt – dieses Land selbst foltert systematisch und sagt: Das ist ja gar nicht verboten. Das heißt: Es macht die Folter salonfähig", so Manfred Nowak.
Diktaturen wie Syrien oder Ägypten, deren Geheimdienste den USA verborgene Hilfe leisteten, wurden so in ihren Folterpraktiken bestärkt. Die schweren Menschenrechtsverbrechen, die durch den syrischen Präsidenten Baschaar El Assad gegen die Opposition begangen werden, können damit durch die USA kaum mehr glaubhaft kritisiert werden. Das ist die wichtigste Botschaft von Glenn Carle: dass die CIA-Folter der gesamten westlichen Welt schadete. Und keinen Erfolg brachte. "Es war unnötig, eindeutig illegal, nicht im Sinne der amerikanischen Interessen und ein Fehlschlag. Denn Folter liefert keine brauchbaren Informationen", meint Glenn Carle.
Auch wenn die USA ihre Geheimgefängnisse geschlossen haben: Die dortigen Folterverbrechen wurden auch unter Präsident Obama nicht untersucht. Glenn Carle fordert genau das. Was er selbst wirklich getan hat, bleibt im Dunkeln. Pascha Wazir, sein mutmaßlicher Ex-Gefangener, lebt heute in Dschalalabad und will nicht mit Journalisten sprechen.
Verlag: Rowohlt , ISBN: 978-3-498-00941-0
Quelle: http://www.daserste.de/cmspix/ttt/1304201213501.jpg
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 15/04/2012
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=7169
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