Eine
Gruppe prominenter Verteidiger der Menschenrechte, die Dmitrij
Medwedjew zu seinen Beratern gemacht hatte, will nicht mit Wladimir
Putin zusammenarbeiten. Sie sind nicht mit der Rolle einverstanden,
als Feigenblatt für eine Regierung zu dienen, die die Gesellschaft
grob verletzt.
In
den Reihen des 40-köpfigen „Rats der Entwicklung der
Bürgergesellschaft und Menschenrechte“, die sich um den
Vorgängerpräsidenten gebildet hatte, befanden sich wirklich noch
ruhmvolle Dissidenten und liberale Oppositionelle, unter ihnen die
85-jährige Ludmilla Alexejewa, die Nestorin der antikommunistischen
Bewegung noch aus Sowjetzeiten, sowie Igor Jurgens, Leiter des
Präsidenteninstituts für Zivilgesellschaft, das für den ehemaligen
Präsidenten Medwedjew kühne Reformprojekte vorbereitet hatte.
Gegenwärtig befindet sich diese Star-Truppe im Zustand des halben
Verfalls und könnte sich in Kürze gänzlich auflösen.
Schmachvolle
Skandale und Entstalinisierung
Die
von Medwedjew bestimmten Kremlberater berechtigten zu der Hoffnung,
dass unter dem jungen Präsidenten wichtige Veränderungen in
Russland stattfinden, die mit der stalinschen Vergangenheit brechen,
und dass die Zivilgesellschaft umfassende Rechte erhält.
Der
Rat befasste sich mit für die Regierung heiklen Problemen. Eine
durch ihn zusammengestellte Gruppe von Rechtsanwälten nahm eine
tiefgreifende Analyse des Urteils zu 13 Jahren Freiheitsstrafe gegen
den Eigentümer des Erdölkonzern Jukos, Michail Chodorkowskij, den
einst reichsten russischen Bürger und Gegner von Putin, vor. Sie kam
zu der Schlussfolgerung, dass der verurteilte Oligarch unter
Verletzung von Recht und Gesetz bestraft wurde, und sie schrieben
eine Liste von politischen Gefangenen auf, die Medwedjew zur
Begnadigung vorgeschlagen wurden.
Der
Rat analysierte auch einen der schandvollsten Skandale der letzten
Jahre, den tragischen Tod von Sergej Magnitzkij in der Moskauer Haft
Matrosenstille (Matroska Tischina). Wie man meint, wurde der
Rechtsanwalt der Stiftung Hermitage Capital vor drei Jahren von einer
Mafia gefoltert und in den Tod getrieben, die sich gebildet hatte aus
Staatsanwälten, Milizionären, Richtern, Steuerinspektoren und ihrem
politischen Protektoren, die Putin nahe stehen, die seiner Firma 230
Millionen US-Dollar gestohlen hatten. Die Verteidiger der
Menschenrechte empfahlen Medwedjew die Durchführung einer
gründlichen Untersuchung und exemplarischen Bestrafung der
Schuldigen am Tode des Rechtsanwalts, die unantastbar bleiben und in
Luxus schlemmen können (welchen man sich aus Beamtenpensionen nicht
erlauben könnte).
Den
früheren Präsidenten irritierten schon diese Aussagen. Er machte
seinen Beratern zum Vorwurf, dass sie ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf
Chodorkowskij und Magnitzkij richteten, „als wenn es bei uns keine
anderen Leute gäbe“. Aber ihre Rapporte nahm er gerne entgegen,
obgleich er ihre Ratschläge selten nutzte.
Aus
der Gewissheit der gängigsten und wichtigsten Aufgabe, die die
Berater übernahmen, wurde ein ambitiöses Programm der
Entstalinisierung des gesellschaftlichen Lebens Russlands.
Sie
schlugen vor, dass in den Schulbüchern für Geschichte in allen
Schulen, Abschnitte eingeführt werden, welche das Ausmaß und den
Mechanismus der Verbrechen der Bolschewiken beschreiben. Sie
kündigten an, dass mit der Zeit, wenn das Wissen über die
Massenmorde und Verbannungen der Zeit des Kommunismus in der
Gesellschaft Allgemeingut wird, aus Schildern mit den Namen von
Straßen und Plätzen die Namen von bolschewistischen Verbrechern
getilgt werden und die Mumie von Lenin aus dem Mausoleum auf dem
Roten Platz entfernt und auf einem Friedhof begraben wird.
Sie
erstellten auch einen Gesamtplan zur Renovierung von Friedhöfen der
Opfer der GULAGS und zur Schaffung von Museen, die den Menschen
gewidmet, sind, die von den Schergen und Henkern Stalins ermordet
wurden.
Medwedjew
machte sich mit den Vorschlägen auf speziellen Treffen mit dem Rat
vertraut und begann sie schrittweise zu akzeptieren.
Diese
Arbeit macht heute keinen Sinn mehr!
Der
Verfall der Beratergruppe begann schon vor einiger Zeit. Als erste
gingen schon im Dezember 2011. Irina Jasina, die bekannte Ökonomin
und Publizistin, und die Fernseh-Journalistin Swetlana Sorokina. Sie
protestierten gegen die Fälschung der Ergebnisse der
Parlamentswahlen, gegen die offizielle Version der von der
Putin-Partei „Einiges Russland“ gewonnenen Wahlen. Bis zum Datum
des 30. Juni 2012 verließen den Rat 17 Personen, darunter Jurgens
und Alexejewa und weitere beabsichtigen, diesen Schritt noch zu
gehen. „Wenn noch zwei Mitglieder ihre Demission einreichen, dann
wird schon das notwendige Quorum nicht mehr erreicht und das Team
löst sich letztlich auf“, sagte der Vorsitzende des Rats, Michail
Fedotow, in einem Gespräch mit der Zeitung „Gazeta Wyborcza“.
„Jeder
von uns ist für einen konkreten Bereich verantwortlich“, sagte der
Politologe Dmitrij Oreschkin. „Mir fällt die Aufgabe zu, für die
Vervollkommnung, die Demokratisierung des Wahlrechts zu sorgen. Aber
diese Arbeit macht heute keinen Sinn mehr. Nach den Parlamentswahlen
im Dezember empfahl der Rat dem Präsidenten die Demission von
Wladimir Tschurow, des Chefs der Zentralen Wahlkommission.
Unterdessen erhielt er vom neuen Präsidenten die oberste Weisung, zu
bleiben.
Meine Analyse der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen
im März hat ergeben, dass Putin maximal 53 % der abgegebenen
Stimmen erhalten hat und nicht wie Tschurow gezählt hat, 63 %.
Wahrscheinlich erlangte Putin nicht einmal die Hälfte der Stimmen,
somit hat er in der ersten Runde nicht gewonnen“.
Im Rat
des Präsidenten kann jetzt niemand mehr bleiben, der die
Rechtmäßigkeit der Wahlen in Frage stellt.
Medwedjew
traf sich oft mit dem Rat. „Er hörte uns an, obgleich er nicht
immer hören wollte, was wir sagten. Jetzt hat uns nach einer
gewissen Zeit ein Bürokrat der 15. Rangstufe empfangen, damit es
dann möglich wurde, ein Kommunique zu publizieren, damit seitens der
Administration des Präsidenten die Stimme der Verteidiger der
Menschenrechte im Kreml wieder einmal gehört werden kann, sagte dazu
ironisch Jurgens.
Zeit
für Figuranten, für Marionetten
Die
neue Kreml-Administration hat sehr deutlich sichtbar gemacht, dass
sie keine Lust auf Menschenrechtsnörgler und aufdringliche
Dissidenten hat, die immer nach Chodorkowskij fragen werden, oder die
Tschurows Verdienste um die Regierung bekritteln. Daher denkt man,
dass der Rat von den rebellierenden Mitgliedern gesäubert wird und
ihre Stellen, Kandidaten einnehmen werden, die von gesellschaftlichen
und politischen Organisationen ausgerufen werden und dann in offener
Abstimmung im Internet gewählt und schließlich persönlich durch
den Präsidenten Putin bestätigt werden.
„Anstelle
kompetenter, aber nicht gefügiger Fachleute, würden dann Figuranten
kommen“, so schätzt das Fedotow ein, „das zeigen mir Akten der
Verkündung der zur Arbeit im Rat der Entwicklung der
Bürgergesellschaft und Menschenrechte bereitwilligen Leute“. Unter
ihnen befinden sich radikale Nationalisten und Vertreter unbekannter
Gesellschaften aus den tiefen Provinzen. Seine Kandidatur verkündete
auch ein Mensch, der einräumt, dass seine Erfahrungen, seine
Versiertheit auf dem Gebiet der Menschenrechte seinem Aufenthalt in
Gefängnissen zu verdanken seien.
Unter
Putin sind in die Kreml-Administration neue Leute gekommen, erklärt
Oreschkin.
Vorher
war für die Innenpolitik, darunter auch für den „Rat der
Entwicklung der Bürgergesellschaft und Menschenrechte“ Wladislaw
Surkow verantwortlich, der als Meister der Intrigen gilt.
Verständlich ist, und so war es auch bei ihm, dass es wert
ist, in der Nähe der Regierung eine Gruppe bekannter Liberaler,
Verteidiger der Menschenrechte zu halten, das sieht dann nicht übel
aus in den Augen der der Opposition nahe stehenden Intelligenz und in
der internationalen öffentlichen Meinung. Jetzt befindet sich an
seiner Stelle Wjatscheslaw Wolodin, ein Funktionär der Partei
„Einiges Russland“, ein brutaler politischer Spieler. Er braucht
keine subtilen Kombinationsspiele, ihm genügt in vollem Maße ein
Rat der Entwicklung der Bürgergesellschaft und Menschenrechte, der
nicht ermahnt, und wenn seine Meinung erforderlich ist, dann weiß,
was zu sagen ist.
Das
Schicksal des Rats konnte sich am Montag den 2. Juli entscheiden. Da
hätte es gelingen können, einen akzeptablen Kompromiss zu finden
und die Berater des Präsidenten zu gewinnen, Einfluss auf die
Auswahl derer zu nehmen, mit denen er arbeiten wird.
Aber
dieser Kompromiss wird von kurzer Dauer sein. Der Kreml strebt nach
neuen Gesetzen, die die Freiheiten der Bürger einschränken. In
dieser Situation wollen die Verteidiger der Menschenrechte für die
Regierung kein Feigenblatt sein, sondern in die Spuren von Alexejewa,
Jurgens und Oreschkin treten.
Original:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen