Sonntag, 8. Juli 2012

Der Kreml strebt nach neuen Gesetzen, die die Freiheiten der Bürger einschränken. In dieser Situation wollen die Verteidiger der Menschenrechte für die Regierung kein Feigenblatt sein

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Übersetzt von Hans-Jürgen Falkenhagen

Eine Gruppe prominenter Verteidiger der Menschenrechte, die Dmitrij Medwedjew zu seinen Beratern gemacht hatte, will nicht mit Wladimir Putin zusammenarbeiten. Sie sind nicht mit der Rolle einverstanden, als Feigenblatt für eine Regierung zu dienen, die die Gesellschaft grob verletzt.

In den Reihen des 40-köpfigen „Rats der Entwicklung der Bürgergesellschaft und Menschenrechte“, die sich um den Vorgängerpräsidenten gebildet hatte, befanden sich wirklich noch ruhmvolle Dissidenten und liberale Oppositionelle, unter ihnen die 85-jährige Ludmilla Alexejewa, die Nestorin der antikommunistischen Bewegung noch aus Sowjetzeiten, sowie Igor Jurgens, Leiter des Präsidenteninstituts für Zivilgesellschaft, das für den ehemaligen Präsidenten Medwedjew kühne Reformprojekte vorbereitet hatte. Gegenwärtig befindet sich diese Star-Truppe im Zustand des halben Verfalls und könnte sich in Kürze gänzlich auflösen.

Schmachvolle Skandale und Entstalinisierung
Die von Medwedjew bestimmten Kremlberater berechtigten zu der Hoffnung, dass unter dem jungen Präsidenten wichtige Veränderungen in Russland stattfinden, die mit der stalinschen Vergangenheit brechen, und dass die Zivilgesellschaft umfassende Rechte erhält.
Der Rat befasste sich mit für die Regierung heiklen Problemen. Eine durch ihn zusammengestellte Gruppe von Rechtsanwälten nahm eine tiefgreifende Analyse des Urteils zu 13 Jahren Freiheitsstrafe gegen den Eigentümer des Erdölkonzern Jukos, Michail Chodorkowskij, den einst reichsten russischen Bürger und Gegner von Putin, vor. Sie kam zu der Schlussfolgerung, dass der verurteilte Oligarch unter Verletzung von Recht und Gesetz bestraft wurde, und sie schrieben eine Liste von politischen Gefangenen auf, die Medwedjew zur Begnadigung vorgeschlagen wurden.
Der Rat analysierte auch einen der schandvollsten Skandale der letzten Jahre, den tragischen Tod von Sergej Magnitzkij in der Moskauer Haft Matrosenstille (Matroska Tischina). Wie man meint, wurde der Rechtsanwalt der Stiftung Hermitage Capital vor drei Jahren von einer Mafia gefoltert und in den Tod getrieben, die sich gebildet hatte aus Staatsanwälten, Milizionären, Richtern, Steuerinspektoren und ihrem politischen Protektoren, die Putin nahe stehen, die seiner Firma 230 Millionen US-Dollar gestohlen hatten. Die Verteidiger der Menschenrechte empfahlen Medwedjew die Durchführung einer gründlichen Untersuchung und exemplarischen Bestrafung der Schuldigen am Tode des Rechtsanwalts, die unantastbar bleiben und in Luxus schlemmen können (welchen man sich aus Beamtenpensionen nicht erlauben könnte).
Den früheren Präsidenten irritierten schon diese Aussagen. Er machte seinen Beratern zum Vorwurf, dass sie ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf Chodorkowskij und Magnitzkij richteten, „als wenn es bei uns keine anderen Leute gäbe“. Aber ihre Rapporte nahm er gerne entgegen, obgleich er ihre Ratschläge selten nutzte.
Aus der Gewissheit der gängigsten und wichtigsten Aufgabe, die die Berater übernahmen, wurde ein ambitiöses Programm der Entstalinisierung des gesellschaftlichen Lebens Russlands.
Sie schlugen vor, dass in den Schulbüchern für Geschichte in allen Schulen, Abschnitte eingeführt werden, welche das Ausmaß und den Mechanismus der Verbrechen der Bolschewiken beschreiben. Sie kündigten an, dass mit der Zeit, wenn das Wissen über die Massenmorde und Verbannungen der Zeit des Kommunismus in der Gesellschaft Allgemeingut wird, aus Schildern mit den Namen von Straßen und Plätzen die Namen von bolschewistischen Verbrechern getilgt werden und die Mumie von Lenin aus dem Mausoleum auf dem Roten Platz entfernt und auf einem Friedhof begraben wird.
Sie erstellten auch einen Gesamtplan zur Renovierung von Friedhöfen der Opfer der GULAGS und zur Schaffung von Museen, die den Menschen gewidmet, sind, die von den Schergen und Henkern Stalins ermordet wurden.
Medwedjew machte sich mit den Vorschlägen auf speziellen Treffen mit dem Rat vertraut und begann sie schrittweise zu akzeptieren.

Diese Arbeit macht heute keinen Sinn mehr!
Der Verfall der Beratergruppe begann schon vor einiger Zeit. Als erste gingen schon im Dezember 2011. Irina Jasina, die bekannte Ökonomin und Publizistin, und die Fernseh-Journalistin Swetlana Sorokina. Sie protestierten gegen die Fälschung der Ergebnisse der Parlamentswahlen, gegen die offizielle Version der von der Putin-Partei „Einiges Russland“ gewonnenen Wahlen. Bis zum Datum des 30. Juni 2012 verließen den Rat 17 Personen, darunter Jurgens und Alexejewa und weitere beabsichtigen, diesen Schritt noch zu gehen. „Wenn noch zwei Mitglieder ihre Demission einreichen, dann wird schon das notwendige Quorum nicht mehr erreicht und das Team löst sich letztlich auf“, sagte der Vorsitzende des Rats, Michail Fedotow, in einem Gespräch mit der Zeitung „Gazeta Wyborcza“.

Jeder von uns ist für einen konkreten Bereich verantwortlich“, sagte der Politologe Dmitrij Oreschkin. „Mir fällt die Aufgabe zu, für die Vervollkommnung, die Demokratisierung des Wahlrechts zu sorgen. Aber diese Arbeit macht heute keinen Sinn mehr. Nach den Parlamentswahlen im Dezember empfahl der Rat dem Präsidenten die Demission von Wladimir Tschurow, des Chefs der Zentralen Wahlkommission. Unterdessen erhielt er vom neuen Präsidenten die oberste Weisung, zu bleiben.
Meine Analyse der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen im März hat ergeben, dass Putin maximal 53 % der abgegebenen Stimmen erhalten hat und nicht wie Tschurow gezählt hat, 63 %. Wahrscheinlich erlangte Putin nicht einmal die Hälfte der Stimmen, somit hat er in der ersten Runde nicht gewonnen“.
Im Rat des Präsidenten kann jetzt niemand mehr bleiben, der die Rechtmäßigkeit der Wahlen in Frage stellt.

Medwedjew traf sich oft mit dem Rat. „Er hörte uns an, obgleich er nicht immer hören wollte, was wir sagten. Jetzt hat uns nach einer gewissen Zeit ein Bürokrat der 15. Rangstufe empfangen, damit es dann möglich wurde, ein Kommunique zu publizieren, damit seitens der Administration des Präsidenten die Stimme der Verteidiger der Menschenrechte im Kreml wieder einmal gehört werden kann, sagte dazu ironisch Jurgens.

Zeit für Figuranten, für Marionetten
Die neue Kreml-Administration hat sehr deutlich sichtbar gemacht, dass sie keine Lust auf Menschenrechtsnörgler und aufdringliche Dissidenten hat, die immer nach Chodorkowskij fragen werden, oder die Tschurows Verdienste um die Regierung bekritteln. Daher denkt man, dass der Rat von den rebellierenden Mitgliedern gesäubert wird und ihre Stellen, Kandidaten einnehmen werden, die von gesellschaftlichen und politischen Organisationen ausgerufen werden und dann in offener Abstimmung im Internet gewählt und schließlich persönlich durch den Präsidenten Putin bestätigt werden.
Anstelle kompetenter, aber nicht gefügiger Fachleute, würden dann Figuranten kommen“, so schätzt das Fedotow ein, „das zeigen mir Akten der Verkündung der zur Arbeit im Rat  der Entwicklung der Bürgergesellschaft und Menschenrechte bereitwilligen Leute“. Unter ihnen befinden sich radikale Nationalisten und Vertreter unbekannter Gesellschaften aus den tiefen Provinzen. Seine Kandidatur verkündete auch ein Mensch, der einräumt, dass seine Erfahrungen, seine Versiertheit auf dem Gebiet der Menschenrechte seinem Aufenthalt in Gefängnissen zu verdanken seien.

Unter Putin sind in die Kreml-Administration neue Leute gekommen, erklärt Oreschkin.
Vorher war für die Innenpolitik, darunter auch für den „Rat der Entwicklung der Bürgergesellschaft und Menschenrechte“ Wladislaw Surkow verantwortlich, der als Meister der Intrigen gilt. Verständlich ist, und so war es auch bei ihm,  dass es wert ist, in der Nähe der Regierung eine Gruppe bekannter Liberaler, Verteidiger der Menschenrechte zu halten, das sieht dann nicht übel aus in den Augen der der Opposition nahe stehenden Intelligenz und in der internationalen öffentlichen Meinung. Jetzt befindet sich an seiner Stelle Wjatscheslaw Wolodin, ein Funktionär der Partei „Einiges Russland“, ein brutaler politischer Spieler. Er braucht keine subtilen Kombinationsspiele, ihm genügt in vollem Maße ein Rat der Entwicklung der Bürgergesellschaft und Menschenrechte, der nicht ermahnt, und wenn seine Meinung erforderlich ist, dann weiß, was zu sagen ist.

Das Schicksal des Rats konnte sich am Montag den 2. Juli entscheiden. Da hätte es gelingen können, einen akzeptablen Kompromiss zu finden und die Berater des Präsidenten zu gewinnen, Einfluss auf die Auswahl derer zu nehmen, mit denen er arbeiten wird.

Aber dieser Kompromiss wird von kurzer Dauer sein. Der Kreml strebt nach neuen Gesetzen, die die Freiheiten der Bürger einschränken. In dieser Situation wollen die Verteidiger der Menschenrechte für die Regierung kein Feigenblatt sein, sondern in die Spuren von Alexejewa, Jurgens und Oreschkin treten.

Original:


Danke:Tlaxcala
Quelle:
http://wyborcza.pl/1,76842,12043376,Nie_chca_wspolpracowac_z_Putinem.html
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 30/06/2012
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=7667

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