Der
Kreml verfolgt Nichtregierungsorganisationen als „ausländische
Agenten“
Der
Kreml setzte ein weiteres Gesetz durch, das in der Zivilgesellschaft
die Nichtregierungsorganisationen (NRO) aufs Korn nimmt, die von
außerhalb Russlands Unterstützung bekommen. Sie erhalten den Status
„Ausländische Agenten“, ein Begriff, der für den gewöhnlichen
Russen ein Synonym für „Spion“ und „Verräter“ ist.
Das
Gesetz hat der Abgeordnete der Kreml-Partei „Einiges Russland“
Alexander Sidyakin ausgearbeitet, der auch Autor des jüngst
angenommenen skandalösen „Gesetzes über öffentliche
Versammlungen“ ist, das die Strafen für die Teilnehmer an
Demonstrationen drastisch verschärft. Sein nun folgendes Gesetz ist
das Anti-Orangen-Gesetz, wie man in Russland (in Erinnerung an die
„Orange Revolution“ in Kiew von 2004) sagt. Dieses Gesetz legt
fest, dass jede Nichtregierungsorganisation, die irgendetwas
Gemeinsames mit der Politik hat und von außerhalb Russlands Geld,
Ausrüstungen oder andere Unterstützung von Regierungen,
Geschäftsunternehmen oder Privatpersonen erhält, sich offiziell als
„ausländischer Agent“ registrieren lassen muss.
Sidyakin
will die Nichtregierungsorganisationen verpflichten, dass sie in
ihrer Korrespondenz, in Publikationen und bei öffentlichen
Auftritten sich als aus dem Ausland finanzierte „Agenten“
ankündigen und zu erkennen geben.
Denjenigen,
die das Gesetz nicht befolgen, drohen harte Strafen, Wer versucht,
sich der Eintragung seiner Organisation in ein Register zu
widersetzen, beispielsweise Informationen über die Unterstützung
aus dem Ausland verdeckt oder verschleiert, muss mit 300 000 Rubel
Bußgeld (das Jahreseinkommen eines durchschnittlichen Russen), mit
Strafen bis zu 480 Stunden öffentlicher Zwangsarbeit oder bis zu
zwei Jahren Freiheitsstrafe rechnen.
Der Staat nimmt die
Ausländischen Agenten unter die Lupe, mindestens einmal im Jahr wird
sie die Steuerbehörde gründlich und detailliert kontrollieren, je
Quartal müssen sie einen minutiösen Bericht über ihre Finanzen
veröffentlichen… (Das Gesetz ist von der Staatsduma (Unterhaus)
mit 374 Stimmen von insgesamt 450 angenommen worden. Drei Abgeordnete
stimmten dagegen. Es muss nun den Föderationsrat (Oberhaus)
passieren, bevor es vom russischen Präsidenten unterschrieben
wird.
Wie ein anonymer Informant aus der
Präsidenten-Administration der Nachrichtenagentur Interfax
mitteilte, können den Status von „Auslandsagenten“ etwa tausend
Nichtregierungsorganisationen erhalten, darunter die Vereinigung
„Golos“, die Wahlbeobachter ausbildet und schult und die gegen
Korruption kämpfende „Transparency International“ sowie die
Moskauer Helsinki–Gruppe, die in Russland älteste Organisation,
welche die Menschenrechte verteidigt.
Der
Präsidentenberater Michail Fedotow, der noch Vorsitzender des Rats
für Menschenrechte und die Entwicklung der Bürgerrechte im Kreml
ist, meint, dass gemäß dem Gesetz, diesem unnötigen Gesetz, auch
die Russische Orthodoxe Kirche den Status Auslandsagent zuerkannt
bekommen könnte. Sie hat außerhalb Russlands zahlreiche Diözesen,
die dort treu und brav Geld für den Bedarf dieser Kirche sammeln, so
interpretiert das der exzellente Rechtsanwalt und ehemalige
Medienminister.
Das
ist ein törichtes, kretinoides Antibürgergesetz. Ausgedacht haben
sich das unsere regierenden Tschekisten, die wie ihr Patron
Dserschinski überall Agenten und Feinde sehen, so bewertet das
Gesetz von Sidyakin Alexander Simonow, der Leiter der Stiftung
„Verteidigung von Glasnost“, die über die Freiheit der Medien
wachen soll. „Es geht um die Brandmarkung von Organisationen, die
unabhängig von der Regierung sind. Man will uns das Brandmal
Auslandsagent auf die Stirn brennen. Das ist aber in den Augen der
seit Jahren von den föderalen Fernsehen verdummten gewöhnlichen
Russen dasselbe, was man unter einen Spion und Vaterlandsverräter
versteht. Das ist widerwärtige Manipulation.
Die
Organisationen, die sich für die Entwicklung der Zivilgesellschaft
interessieren, erhalten Geld aus dem Ausland. Ja, aber woher soll man
sonst Geld bekommen? sagte Simonow der „Gazeta Wyborcza“. Der
Staat gibt für diese Ziele nichts. Das einheimische Business würde
gerne Geld geben, aber die Unternehmer verstehen sehr gut, dass der
Kreml jeden blitzartig in den Bankrott treiben kann, der es wagt, die
Verteidiger der Menschenrechte oder die Kämpfer gegen Korruption zu
unterstützen.
Die
Ausgabe der Zeitung „Rossiskaja Gazeta“ vom Montag den 2. Juli
2012 schreibt, dass das Gesetz nur eine konforme Version des
US-amerikanischen „Gesetzes über die Registrierung von
Auslandsvertretern“ ist.
Das
ist unsinnig, konterte Ludmila Alexejewa, die 85-jährige Nestorin
der Bewegung „Verteidiger der Menschenrechte“ und Vorsitzende der
Moskauer Helsinki-Gruppe. Im amerikanischen Gesetz ist von „Agenten“
die Rede, wenn sie Vertreter anderer Staaten oder ausländischer
Firmen sind, die offiziell Lobby-Arbeit in den USA im Interesse ihrer
Mandanten betreiben. Dieses Gesetz betrifft aber nicht diejenigen,
die sich mit Bildungsarbeit befassen, die Verteidiger der
Menschenrechte sind.
Alexejewa
kündigte an, dass sie sich den Vorschriften des neuen Gesetzes nicht
unterwerfen wird. „Meine Gruppe besteht seit 1976. Ausländische
Finanzhilfe erhielt sie erst 17 Jahre später, also ab 1992/1993.
Seit dieser Zeit kommt zu uns sehr viel Geld aus vielen Ländern. Im
Lichte des neuen Gesetzes kommt wieder etwas von der Art, von
Lawrentij Berija zum Vorschein, der Chef des sowjetischen NKWD war
und der für die angebliche Zusammenarbeit mit jedem fremden
Geheimdienst Leute bestrafen und erschießen ließ. Ich habe an den
Präsidenten einen Brief geschrieben, dass es niemals erlaubt sein
wird, dass meiner Organisation das Makel eines Schandmauls
eingebrannt wird. Wieder wären wir Agent erst für die sowjetischen
Bürger, jetzt würden wir es in den Augen der russischen Bürger
sein. Ich weiß nicht, wie wir das machen werden, aber in den
Dokumenten der Gruppe wird niemals die schändliche Aufschrift
„Ausländischer Agent“ erscheinen.“
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