Montag, 2. Juli 2012

Welchen Preis hat die angebliche Energieunabhängigkeit Frankreichs?


Frankafrika
Das Gesetz des Dschungels: Die Machenschaften des frz. Atomkonzerns AREVA in Afrika
Übersetzt von Michéle Mialane
Herausgegeben von Fausto Giudic


Während im Jahre 2011 unter hochtrabenden humanistischen Reden der 50. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärungen der afrikanischen Staaten gefeiert wurde, wurde ein System immer noch aufrechterhalten, das aus der Kolonialherrschaft stammt: die militärische, diplomatische und finanzielle Unterstützung an Diktaturen und autoritäre Regimes, die es mit privilegiertem Zugang zu den Naturressourcen entgelten. Mit einer kräftigen Prise Gewalt, Affairismus und Korruption einhergehend. Allein die Gruppe Areva liefert ein Beispiel für die gravierende Rolle derFrançafrique-Netzwerke, die bisher die demokratischen Bestrebungen in Afrika immer sehr gut zu versenken wussten. Arevas nigrische Bergwerke liefern immer noch ein Drittel ihrer sämtlichen Produktion, während das Land immer tiefer verschuldet wird. In Frankreich leuchtet jede dritte Ampel dank nigrischem Uran, wobei die meisten Nigrer über keine Stromversorgung verfügen. Dabei wird der Strom nicht im Land erzeugt, sondern aus dem benachbarten Nigeria importiert. Der Mythos der französischen Energieunabhängigkeit hat einen Preis. Und für diesen Preis müssen Menschen aufkommen, deren Umwelt und Gesundheit geschädigt, die ihres Landes beraubt und um ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft betrogen werden. Selbst das dem Leben unentbehrliche Wasser wird verschmutzt und die räuberische Übernutzung des Grundwassers hat rund um Arlit im nigrischen Tuareggebiet zur Ausdehnung der Wüste beigetragen.
Dass Ende 2011 gerade auf diesem Gelände 5 Franzosen entführt wurden, hängt wohl einigermaßen mit der Frustration der Lokalbevölkerung sowie mit der ungleichenVerteilung der durch den Uranabbau erzeugten Gewinne zusammen. Doch offensichtlich wurde eine Grunddebatte umgangen und Areva nicht im Geringsten aufs Korn genommen. Da gibt’s doch Verträge mit zum Teil geheim gehaltenen Bedingungen, langfristige Risiken werden abgeleugnet - beides seit jeher angewöhnte Methoden der Bergbauindustrie. Klingt unwiderstehlich an die Gewinnung des Schieferöls und -gases an, die man uns gerne aufzwingen möchte. Eines sollten wir bedenken: der Markt kennt keine Grenzen. -Golias



Seit das letzte französische Uranbergwerk im Jahre 2001 geschlossen wurde, ist Afrika für die französischen Kernkraftwerke unentbehrlich. Mit der Unterststützung ihres Mehrheitsaktionärs - der frz. Staat - geht  dort die Gruppe Areva nach wie vor einträglichen Tätigkeiten nach, vom Schweigegesetz  geschützt und unter Einmischung von Regierungspolitikern. Aber auf Kosten der Umwelt sowie der Bevölkerungen, denen das Geschäft teuer zu stehen kommt.



Die Areva-Gruppe, die  in ungefähr 100 Ländern aktiv ist, meistert sämtliche Gebiete der Atomindustrie: Uranabbau, -anreicherung und -wiederaufbereitung, Engineering, Erstellung von Reaktoren und Kontrollsystemen, Wartung.  Dieses „Glanzstück der französischen Industrie“ entstand am dritten September 2001 aus dem Zusammenschluss zweier hochwichtigen Akteure des Kernkraftsektors: die COGEMA (Allgemeine Gesellschaft für Kernkraftstoffe), welche 1976 ihre Tätigkeit im Gebiet Uranabbau und -anreicherung der CEA (staatliche Stelle für Kernkraft) übertrug; und Framatome, der sich seit 1958 auf die Herstellung von Heizkesseln für Kernkraftwerke spezialisiert hatte. So war alles in Gang gesetzt zur Fortsetzung der Uranindustrie, mit der Unterstützung des französischen Staats und der Netzwerke der „ Françafrique “ (siehe Interview von Raphaël Granvaud) sowie gut eingespielten Methoden. Die Geschichte der Gruppe läuft  aber nicht auf 2001 zurück, sondern erscheint vielmehr als die Fortsetzung der Kernkraftentwicklung in Frankreich und der Institution, die mit deren Förderung beauftragt war: der CEA, zu dem Charles de Gaulle schon 1945 anregte, mit dem Ziel, Frankreich mit der Atomwaffe zu versehen. Hiermit wurden die Kernrohstoffe zur Priorität, und Frankreich nahm sich Afrika zu Hilfe. Wie sich aber später herausstellen sollte, birgt die zur Stromerzeugung bestimmte zivile Kernindustrie andre Gefahren in sich, und wird der Bevölkerung der Erzeugerländer entsprechende Schäden zufügen.
Die erste beträchtliche Uranlagerstätte wurde 1956 in Mounana (Gabun) aufgefunden. Gabun war damals eine französische Kolonie des Äquatorialafrikas. 1961 beginnt die Erschließung; sie wird fast 40 Jahre lang fortgesetzt werden, manchmal unter der Drohung von Waffengewalt, so z.B. 1965, als Bergleute nach einem tödlichen Unglück einen Streik anfingen. Insgesamt wurden über 26000 Tonnen des kostbaren Erzes gewonnen - was Spuren hinterließ.
Die Bevölkerung lebt immer noch zusammen mit den radioaktiven Auswirkungen des Uranerzes: durch Einatmung der Luft, Verspeisung von Nahrungsmitteln und Wasserverbrauch, auch weil viele Wohnungen mit dem Anschüttungsmaterial  des geschlossenen Bergwerks gebaut wurden. Außerdem wurden 2 Millionen Tonnen radioaktiver Abfälle in die Wasserläufe ausgeschüttet und weitere 4 Millionen in die nun geschlossenen, früher durch die COMUF - Gesellschaft der Uranbergwerke von Franceville, die gabunische  Filiale der  COGEMA und „Vorfahre“ von Areva - betriebenen Bergwerke ausgekippt: „13 Jahre nach der Schließung des Mounanageländes leiden die Anrainer und ehemaligen Bergleute immer noch unter den Folgen des Uranabbaus“ - so Bruno Ondo, Ex-Diözesanleiter von Caritas. „Die radioaktiven Zonen befinden sich in Gebieten, wo die Menschen den Maniok einweichen, fischen, und in der Nähe ihrer Wohnungen. Für die realen Kosten des Uranabbaus muss in Wirklichkeit die einheimische Bevölkerung aufkommen.“ Als Beistand bei der Strahlenschutzaufsicht in Mounana hatte die COMUF den französischen Labor Algade, eine Ex-Filiale der Cogema, beauftragt, und zwar unter Kontrolle der CNPPRI (Nationales Zentrum für Strahlenschutz). Es hat sich aber herausgestellt, dass das 2008 vorgelegte Risikoszenario der COMUF die Realität verharmlost: es entspricht nicht dem Bericht des CNPPRI; nicht alle Strahlenbelastungen werden in Betracht gezogen. Bruno Ondo weiter behauptet: „Über den Strahlenschutz werden wir auf inakzeptable Weise unzureichend informiert. Seit 10 Jahren wird dessen Aufsicht von der COMUF und dem CNPPRI  geführt, aber weder den lokalen Behörden noch der betroffenen Bevölkerung wurden deren Resultate zur Verfügung gestellt. Deshalb werden beruhigende Mitteilungen mit Recht als verdächtig angesehen.“ Das passt in die längst eingesessene Tradition Arevas, die durch Omertà und Verachtung der Bevölkerung gekennzeichnet ist.


Für die realen Kosten des Uranabbaus muss in Wirklichkeit die einheimische Bevölkerung aufkommen
In Niger begann der Abbau im Jahre 1966 in Arlit. Der Ort liegt zwischen der Saharawüste und dem Sahel, in der Region von der Hauptstadt des Tuaregvolkes Agadez, und dort wurden bis heute über 100 000 Tonnen Uranerz gewonnen. 2008 betrug der Umsatz von Areva 13,2 Milliarden Euro, d.h.  5mal das BIP von Niger. Auf Umwelt-, gesundheitlicher und sozialer Ebene handelt es sich  aber für die ehemalige französische Ex-Kolonie um eine echte Katastrophe. Massiv angehäufte Abfälle, Boden-, Wasser- und Luftverschmutzung... „Wir setzen alles ans Werk, um die Strahlenaussetzung  möglichst zu beschränken“ - behauptet Areva („Unsere 10 Verpflichtungen“), und beruft sich auf einen Bericht des INRS (Institut für Strahlenschutz und Kernenergiesicherheit), eine Stelle, die mehrmals angeprangert wurde wegen ihrer Abhängigkeit von der französischen Exekutive. Die gesundheitliche Pflege wird von Areva übernommen, und seltsamerweise finden die Ärzte keine Pathologien auf, die mit Bestrahlung im Zusammenhang stehen. Auch werden die Grundwässer mit Ausschöpfung bedroht, da Areva das Grundwasser von Tarat mitten in der Wüste herauspumpt.
Seit 1966 wurden in Arlit und Akokan, der anderen Bergbaustadt, 270 Milliarden Liter Wasser verbraucht, und heute werden noch täglich Millionen Liter verwendet. Weltweit ist Niger der fünftgrößte Uranerzeuger, gehört aber zu den ärmsten Ländern und dort erreicht die Lebenserwartung kaum  50 Jahre. Der  jährliche Gewinn von Areva liegt um 770 Millionen Dollar, der nigrische Staatshaushalt aber nur bei 320 Millionen.


Die Industriefirma Areva ist in 43 Ländern vorhanden und ihr Geschäftsgebiet umfasst an die 100 Länder. Wie  es aber die unersättliche Profitlogik verlangt hat sie  2007 die kanadische Gesellschaft Uramin, die ihr neue afrikanische Lagerstätten erschloss, zu einem schwindelnd hohen Preis (2,5 Milliarden Dollar) erstanden. Uramin, als Areva Resources Southern Africa umgetauft, wurde in den britischen Jungferninseln registriert - ein Offshore-Finanzplatz und –Rechtsgebiet -, welche zu den undurchdringlichsten und schädlichsten zählen. Dabei gibt sich Areva doch für „über jeden Verdacht erhaben“? Merkwürdig. Übrigens war erstaunlicherweise der Wert der Uramin-Aktien im Halbjahr vor dem Areva-Angebot ums Vierfache gestiegen... Daher erschien das Geschäft verdächtig und Anne Lauvergeon, seit 2001 Generaldirektorin der Firma,  musste im Juni 2011 aus dem Amt scheiden.  Nebenbei bemerkt hatte Areva gerade ihr jenen Namen zu verdanken, und zwar als eine Anspielung auf die spanische Abtei Arevalo. Ihre mystische Seite hat sie uns bis zum Ende verhehlt. Darf man wohl sagen.  Vorläufig ist - angeblich infolge der Schwierigkeiten, die Fukushima auf den Märkten verursacht, der Kauf von Uramin auf Eis gestellt, sowie auch die Bergbaupläne von Areva in Zentralafrika, Namibia und sogar im nigrischen Imamouren - eine jedoch viel versprechende Lagerstätte, weshalb die Staatschefs eine Wut kriegten.  Dafür stärkt  Areva ihre  Positionen in Kasachstan, Jordanien, Marokko oder auch in der Mongolei.
Im Jahre 2007 flog der französische Präsident Nicolas Sarkozy auf Besuch nach Tripoli. Offiziell zur „ Verstärkung der  Beziehungen zwischen beiden  Staaten.“ Dabei wurden aber geheim gehaltene militärische Verträge geschlossen und darüber hinaus versprach Frankreich, Gaddafi mit einem Areva-Kernkraftreaktor zu beliefern, offiziell zur Entsalzung von Meerwasser. Wie es aber Jacques Attali in seinem Buch Economie et apocalypse, trafic et prolifération nucléaire (Fayard, 1995)schrieb, “ist eine triftige Unterscheidung zwischen Militär- und zivilen Kernrohstoffen unmöglich. (...) Da fast alle Technologien in beiden Bereichen angewendet werden können, kann man alle Know-hows oder Technologien verkaufen, und sich dabei den Anschein geben, als würde man an die friedlichen Absichten des Käufers glauben.“ Und immer noch werden Kernkraftwerke verkauft...
Laut einem Bericht, der am 20. April 2011 von der Delegation für strategische Angelegenheiten an das Verteidigungsministerium überreicht wurde „ könnten in 30 Jahren ungefähr 20 Staaten über die Atomwaffe verfügen.“  Angesichts der sich rasch anhäufenden, mit der Kernenergie zusammenhängenden Risiken und der Destabilisierung und stets massiveren Verschuldung der Afrikastaaten sollte eine breite Mobilisierung entstehen gegen die Strategie Arevas, immerhin ein Unternehmen, das sich zu 80% im Besitz des französischen Staates befindet.


Fokus
Uranbergwerke sind tödlich
Jede Tonne verwendbaren Uranerzes benötigt bis zu 2000 Tonnen radioaktiven Aushubs, der in die Umwelt ausgeschüttet wird. Durch das Radon, ein radioaktives Gas, das beim Abbau ausgeschieden wird, wird die Gesundheit der Bergleute und AnrainerInnen der Bergbaugelände beeinträchtigt. Deutschland liefert dafür ein typisches Beispiel mit der Nutzung  der Wismut-Bergwerke. Infolge der starken radioaktiven Verseuchung wurde dort eine besonders hohe Anzahl Krebse festgestellt. Es wurden nicht weniger als 7000 Lungenkrebserkrankungen bestätigt und die anerkannten Opfer des Uranabbaus werden auf mindestens 20 000 geschätzt.
In Afrika kann die Anzahl der Opfer schwer eingeschätzt werden angesichts der fehlenden Statistiken und des herrschenden Schweigegesetzes. Die gesundheitlichen Folgen sind aber katastrophal. Während Areva behauptet, auf dem Arlit-Gelände in Niger eine Entseuchung vorgenommen zu haben, erwies sich anlässlich einer Analyse von Proben durch den CRIIRAD (Unabhängige Forschungskommmission für Radioaktivität), dass deren Radioaktivität die natürliche Radioaktivität ums 2000fache überstieg. Bei der Nutzung des riesigen Tagebaus von Imamouren, dessen Erschließung seit 2009 immer wieder hinausgeschoben wird, wäre es genau das Gleiche wie in Arlit, nur, dass dessen Umfang alles noch schlimmer machen würde. Areva scheint eine Rückkehr nach Gabun in Betracht zu ziehen; dort hat die Nutzung der Manouna-Bergwerke Spuren hinterlassen, unter denen die Bevölkerung heute noch leidet.
In Zentralafrika liegt das Nutzungsprojekt des Bakuna-Bergwerks,  das  2007 nach dem Kauf von Uramin wieder aufleben sollte, auf Eis, sowie auch in Namibia, ein Land, wo sich Frankreich bereits mit Aluminium versorgt hatte, als es vom südafrikanischen Apartheidregime kolonisiert war... in totalem Widerspruch mit den UNO-Resolutionen und der Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof von Handelstransaktionen, die jene Besetzung anerkennen würden. Zynismus und Umgehung der Gesetze und der Sicherheitsvorschriften sind wirklich nichts Neues.
Auf dem namibischen Trekkopje-Gelände ist der Urangehalt sehr niedrig und Hundertmillionen Felsbrocken müssten eine chemische Behandlung erfahren; je niedriger die Urankonzentration des Erzes, umso höher die Verschmutzung.  Sollte eines der größten Tagebaubergwerke tatsächlich genutzt werden, müssten wir auf ein neues Umwelt- und gesundheitliches Desaster gefasst sein.


Uranium: die beerdigte Debatte-Interview mit Raphaël Granvaud
In diesem Interview vernichtet Raphaël Granvaud den Mythos der Energieunabhängigkeit und erklärt, unter welchen Verhältnissen Frankreich und Areva sich - vor allem in Afrika - Uranerz verschaffen. (1) Mit dem  Buch „ Areva en Afrique, une face cachée du nucléaire français (Areva in Afrika, die Schattenseite der französischen Kernenergie)“(2)  legt uns das Mitglied der Organisation „Survie“ ein gut dokumentiertes und unnachgiebiges Werk über die Einmischung der französischen Politik und deren Folgen vor.
In Ihrem Buch beweisen Sie, dass Frankreichs energetische Unabhängigkeit nur ein Mythos ist. Anhand welcher Elemente begründen Sie das?
Raphaël Granvaud: Seit 40 Jahren kehrt das Leitmotiv von Frankreichs Energieunabhängigkeit dank der zivilen Kernenergie tatsächlich immer wieder in den politischen Reden, und dieser Mythos ist ganz besonders zäh. Die offizielle Energieunabhängigkeitsquote wird anhand diverser Manipulierungen der Statistik gerechnet; die wichtigste besteht darin, dass Uranimporte - im Unterschied zu Gas oder Öl - nicht als Energieimporte, sonder bloß als Rohstoffimporte verbucht werden. Aber seit das letzte französische Uranbergwerk 2001 geschlossen wurde, wird das gesamte in unseren Kernkraftwerken verbrauchte Uran importiert. Und selbst früher wurde vorherrschend importiertes Uran gebraucht. Historisch gesehen wurde Uran zuerst aus Afrika importiert, anfangs aus Gabun, dann aus Niger. Zwar nutzt  Areva derzeit andere Lagerstätten weltweit, allerdings stammt  immer noch ein Drittel ihrer Produktion aus Niger. Unter solchen Verhältnissen darf von Energieunabhängigkeit nur die Rede sein, wenn angenommen wird, dass die Bodenschätze der ehemaligen französischen Kolonien sich immer noch im französischen Besitz befinden.  Auch unterschlägt eine solche Haltung, welche Rolle der afrikanischen Uran gespielt hat in der Geschichte der französischen Kernenergie - die ich in diesem Buch zu vergegenwärtigen versuche.
Können sie die politischen Verhältnisse besser ins Licht rücken, unter welchen Frankreich und Areva sich das zur Entwicklung der zivilen und militärischen Kernenergie nötige Uran verschaffen konnten?
Um nach den afrikanischen Unabhängigkeitserklärungen seine Energieversorgung zu sichern, hat Frankreich in Gabun und Niger autoritärste, dafür den eigenen strategischen Interessen gegenüber ganz besonders wohlgesinnte Regimes eingesetzt. In Gabun herrschte lange Omar Bongo, auf den der eigene Sohn neulich gefolgt ist. In Niger setzte Frankreich zuerst Hamani Diori an die Macht, nachdem es sich den Anführer der Unabhängigkeitsbewegung Bakary Djibo vom Hals geschafft hatte. Als Hamani  Diori 1974 den Uranpreis neu verhandeln wollte, wurde er sehr gelegen umgestürzt, und zwar von Offizieren, die in dem französischen Kolonialheer geschult worden waren. 1996 wurde von  Frankreich wieder ein militärischer Staatsstreich gesponsert, knapp nachdem die Nigrer sich eine Zivilregierung neu erobert hatten.  Und als vor kurzer Zeit - 2007-2008- der Uranpreis auf dem Weltmarkt sehr hoch stand, kam es zu einer Kraftprobe zwischen dem Regime von Mamadou Tandja einerseits und Areva und dem frz. Staat andererseits. In einer gewissen Hinsicht erinnerte die Sachlage an die von 1974, da der nigrische Staat wieder von Frankreich eine erhebliche Aufwertung des Uranpreises forderte. Diesmal hat Areva aber hinsichtlich des Preises z.T. nachgegeben - weil die Firma es auf Afrikas größte Unranlagerstätte in Imamuren abgesehen hatte und sich vor der chinesischen Konkurrenz fürchtete. Damit Areva den Sieg davontrug, flog Sarkozy zuerst nach Niger und erteilte seinen Segen dem Verfassungsstaatstreich, den Mamadou Tandja plante, um sich nach Ablauf seines zweiten Mandats an der Macht halten zu können. Nachdem Frankreich die Lagerstätte erstanden hatte, rührte es sich nicht, als Tandja durch einen zweiten Staatsstreich umgestürzt wurde... Nach 40 Jahren Einmischung des frz. Staates in Nigers  innere Angelegenheiten steht Eines fest:  nur ein kleiner Teil des Uranwertes ging an den nigrischen Staat und außerdem hat nicht die Bevölkerung davon profitiert-, sondern die Affairisten der Militärregimes, die von Frankreich unterstützt wurden und die Staatsschuld vergrößert haben und das Land im Elend gehalten.
Auf welche Netzwerke und Relais stützt sich Areva zur Verwirklichung ihrer industriellen Zielsetzungen?
Von Anfang an waren die Hauptakteure der Kernenergieentwicklung und die des neokolonialen Systems, das nach den afrikanischen Unabhängigkeitserklärungen eingesetzt wurde, z. T. die gleichen. De Gaulle gründete den CEA und parallel - zusammen mit Foccart - stiftete er das an, was nun als  Françafrique bezeichnet wird. Pierre Guillaumat, der Urheber des frz. Atomprogramms, wurde dann der erste Präsident der Schlapphüte-Ölfirma Elf... Heute bleibt nach wie vor das fr. Staatsoberhaupt der erste Marketer für Kernenergie, ganz gleich, ob  Zueignung von Lagerstätten oder Andrehung  von Kraftwerken. Auch zögert Areva nicht davor, die „radioaktivsten“ Elemente seiner Netzwerke der Françafrique zu recyceln, um ihre Positionen zu sichern, wenn sie Schwierigkeiten begegnet, oder um neue zu erobern. In Niger z.B., als es zu einer Krise kam  zwischen Mamadou Tandja und Areva, hat Letztere Persönlichkeiten hinzugezogen, die Erfahrung mit der Paralleldiplomatie hatten. Als eine neue rebellische Bewegung mit einem starken Anteil an  Tuaregs,  die Nigrische Bewegung für Gerechtigkeit, eben auftaucht, rekrutiert sie z.B. den Obersten Denamur, einen ehemaligen Militärattaché der frz. Botschaft in Niger. Auch setzt Areva Dominique Pin an die Spitze ihrer Aktivitäten in Niger: jener Diplomat ist ein früheres Mitglied der Afrikazelle der frz. Präsidentschaft. Beide Individuen wurden in Niger schnell für „persona non grata“ erklärt - etwas  nie Dagewesenes in einer frz. Ex-Kolonie - und beschuldigt, undurchsichtige Beziehungen mit der Bewegung für Gerechtigkeit angeknüpft zu haben. Auch sonst wo wurden besonders widerliche Elemente aus den Netzwerken der Françafrique recycelt;  so z.B. wurde von Areva ein Terzett Vermittler zur Erstehung gewisser Lagerstätten in Zentralafrika oder in der Demokratischen Republik Kongo eingesetzt: Patrick Balkany, der mit Sarkozy eng befreundete Abgeordnete von Levallois-Perret, dessen politischen Karriere genau wie die von Sarkozy  im Fahrwasser von Charles Pasqua begann; der belgische Geschäftsmann Georges Forrest, französischer Honorarkonsul in Lumumbashi Spitzname „Vizekönig von Katanga“; Fabien Singaye, ein ehemaliger ruandischer Spion mit Verbindungen zur Bande, die in Ruanda den Tutsi-Völkermord geplant hat....
Wie erklären Sie Arevas Kommunikationsstrategie?
Arevas Kommunikationsstrategie - die Realität bis ins Absurde abzuleugnen - lässt sich leicht erklären. Uranabbau ist eine besonders gefährliche Aktivität.  Jede Bergwerkindustrie ist umweltverschmutzend und im Allgemeinen kümmert man sich wenig um die lokale Bevölkerung. Beim Uranabbau kommen aber auch die spezifischen, mit der Radioaktivität zusammenhängenden Risiken hinzu, welche absichtlich verheimlicht wurden. Hier haben wir mit einer zum Kernkraftgebiet gehörenden Tätigkeit zu tun, die ausschließlich zu Rentabilitätszwecken nicht als solche anerkannt wurde. Uranabbau hat Boden, Wasser und Luft unwiederbringlich verschmutzt. Die Bevölkerung wird mit  verseuchtem Wasser versorgt, auch verwendet sie radioaktives Altmetall für ihren täglichen Brauch wieder. So wird die ganze Region langsam, aber sicher vergiftet, und Areva möchte selbstverständlich nicht, dass diese Tatsache ihre Image sowie die der Kernenergie in ein übles Licht rückt. Als erste betroffen werden natürlich die Bergleute, denen man die Risiken sehr lange versteckt hat - die ersten elementaren Schutzmaßnahmen wurden erst in den Neunzigern getroffen.  Im Laufe von 40 Jahren Nutzung hat Areva aber keinen einzigen Verseuchungsfall, Krebs oder sonstige Pathologie als Berufskrankheit anerkannt.  Hier wurde  ein greifbares Schweigegesetz eingeführt.


Wie kann man Schluss machen mit dem  „Areva-System“?
Ich maße mich nicht an, in meinem Buch eine einfache Lösung vorzuschlagen. Nur hoffe ich, dass es zur Stärkung der Argumente der Atomkraftgegner beitragen kann, sofern es die politischen, gesellschaftlichen sowie  Umwelt- und Gesundheitsschäden in Betracht zieht, die Areva in Afrika mit dem Uranabbau verursacht.  Derzeit liegen  noch 80% des Areva-Kapitals in staatlicher Hand. Ihre Politik wird also von den Staatsbevollmächtigten genehmigt, welche die frz. StaatsbürgerInnen mit Recht zur  Rechnung ziehen dürfen und gegen welche sie mobil machen können. Ebenfalls muss  die Verbindung mit den Bewegungen gestärkt werden, ihre Forderungen erfahren hinsichtlich besserer Sicherheitsbedingungen, Vergütungen für die erlittenen Schäden, Wiederzueignung der nationalen Reichtümer, Transparenz der Kapitalflüsse usw. Dies setzt sich zum Ziel das Kollektiv „ Areva ne fera pas la loi au  Niger (Areva wird in Niger nicht schalten und walten)“(3). Ich für mein Teil halte den Atomausstieg für das einfachste und sicherste Mittel, dieser Politik der Ausplünderung und der Einmischung, die „Energieunabhängigkeit“ getauft wurde, ein Ende zu setzen. Selbstverständlich steht der nigrischen Bevölkerung die Entscheidung zu, ob die Nutzung ihres Bodens fortgeführt werden soll oder nicht, wir aber müssen fordern, dass diese Debatte durch Areva und den frz. Staat nicht mehr beerdigt wird.
Noten
(1)      Der 1984 ins Leben gerufene Verein „Survieprangert die weiter bestehenden neokolonialen Verknüpfungen zwischen Frankreich und dessen afrikanischen „ehemaligen“ Kolonien. Ziel von Survie ist es, andere Beziehungen zu fördern, welche die Souveränität der verschiedenen Staaten und die Wahl der Bevölkerungen achten.
(2)      Areva en Afrique, une face cachée du nucléaire français Areva in Afrika, eine Schattenseite der frz.Kernenergie.“ Autor: Raphaël Granvaud, 2012 von Agone herausgegeben, Preis: 14 Euro.
(3)      Das französische Kollektiv „Areva ne fera pas la loi au Niger“ wurde 2008 ins Leben gerufen zur  Unterstützung der Bevölkerungen, die vom Uranabbau betroffen werden sowie Anprangerung der katastrophalen Folgen unserer energiepolitischen Entscheidungen: die radioaktive Umweltverseuchung. Die Kampagne des Kollektivs setzt sich zum Ziel, Frankreich, die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft zur  Verantwortung zu ziehen.


    Raphaël Granvaud
    Areva en Afrique

    Une face cachée du nucléaire français

    Préface 
    d’Odile Tobner
    Parution : 16/02/2012
    ISBN :978-2-7489-0156-6
304 pages
11 x 17 cm
14.00 euros
Bestellen


Danke Tlaxcala
Quelle: http://www.golias-editions.fr/article5055.html
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 09/05/2012
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=7610




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