Dienstag, 15. März 2011

Mit einem Verfahrenstrick stimmten am Mittwochabend (Ortszeit) in Madison im USA-Bundesstaat Wisconsin die republikanischen Abgeordneten für ein gewerkschaftsfeindliches Gesetz 

Wisconsiner sehen sich betrogen 

Mit einem Verfahrenstrick stimmten am Mittwochabend (Ortszeit) in Madison im USA-Bundesstaat Wisconsin die republikanischen Abgeordneten für ein gewerkschaftsfeindliches Gesetz – ein Schritt, der die Bevölkerung jetzt erst recht provoziert. 


Der Gesetzesentwurf von Scott Walker, dem rechten Gouverneur von Wisconsin, der seit Mitte Februar Zehntausende von Demonstranten gegen sich aufbrachte, ist seit Mittwochabend (Ortszeit) völlig überraschend »durch«. Damit verlieren die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst in Wisconsin ihre Macht und das Recht, kollektive Tarifverhandlungen zu führen.
Als Reaktion besetzten noch in der Nacht zum Donnerstag Tausende von Demonstranten das Kapitol der Hauptstadt Madison, nachdem die Polizei sich von den Eingangstoren zurückgezogen hatte. Der Fraktionschef der Demokraten im Wisconsiner Senat, Mark Miller, ließ es nicht an Schärfe fehlen: »Innerhalb von 30 Minuten haben 18 Senatoren des Staates 50 Jahre Bürgerrechte in Wisconsin in Stücke gelegt.« Der Fraktionschef der Demokraten in der unteren Kammer, Peter Barca, hatte versucht, die Abstimmung lautstark zu stören, und betont, es handele sich um illegales Vorgehen der Republikaner. Danach bezeichnete er die Abstimmung als »Betrug an der Bevölkerung von Wisconsin«. Am Donnerstag sollte es zu einer zweiten Abstimmung nunmehr im Repräsentantenhaus des Zweikammernparlaments kommen. Zehntausende Gegner des Gesetzes strömten daraufhin bereits am Morgen ins Zentrum von Madison. Der legislative Coup der Republikaner in Wisconsin stellt einen weiteren Schritt der Verschärfung beim Durchpeitschen eines harten Sparkurses dar. Der Verfahrenstrick, den »Tea Party«-Gouverneur Scott Walker zusammen mit seiner republikanischen Mehrheit in beiden Kammern anwandte, war denkbar einfach. Die ursprüngliche »budget repair bill« (den Entwurf des Gesetzes zur Haushaltssanierung), in der die geplante Rotstiftpolitik und die Entmachtung der Gewerkschaften in einem Dokument zusammengefasst worden waren, wurde in zwei Teile gespalten. Der Teil, der sich gegen die Gewerkschaften richtet, wurde schlichtweg für »nicht fiskalisch« erklärt, wodurch das für die Abstimmung erforderliche Quorum (die Mindestzahl anwesender Abgeordneter) wegfiel. Bisher hatte den Republikanern zur Verabschiedung des Gesetzes die Anwesenheit eines einzigen weiteren Senators gefehlt. Vor drei Wochen waren die demokratischen Senatoren von Wisconsin aus Protest gegen den Entwurf und zwecks Blockade seiner Verabschiedung aus dem Bundesstaat verschwunden und ins benachbarte Illinois abgetaucht. Durch den prozeduralen Kniff umgingen die Republikaner in der Nacht zum Donnerstag jedoch das Quorum und setzten eine Abstimmung in einem Sonderausschuss aus Abgeordneten beider Kammern durch. Gegen das durchgepeitschte Gesetz werden zahlreiche Einzel- und Sammelklagen erhoben werden. Zudem mobilisieren Gewerkschaften in Wisconsin zu noch größeren Protesten als bisher. Die für den öffentlichen Dienst zuständige Abteilung des gewerkschaftlichen Dachverbands AFL-CIO – die South Central Federation of Labor – versucht schon seit einer Woche, seine Mitgliedschaft auf einen Generalstreik einzustimmen. Darüber hinaus sind am Wochenende in mehreren Dutzend USA-Bundesstaaten Solidaritätskundgebungen geplant. Denn der rechte Vorstoß in Wisconsin hat sich herumgesprochen. Laut dem Fernsehsender MSNBC sind in 18 Bundesstaaten ähnliche Gesetzesvorhaben anhängig, seit die Republikaner bei den Wahlen im November parlamentarische Mehrheiten erringen konnten. Bei dem rabiaten Vorgehen der neoliberalen Rechten in Wisconsin handelt es sich um den ersten Vorstoß in einer konzertierten Aktion, die viele Bundesstaaten der USA umfasst. Anders ist der Coup nicht zu erklären. Denn die Demokraten wie auch die Gewerkschaften hatten von Anfang an ihre Bereitschaft zu politischen Zugeständnissen an die Republikaner erklärt und ihre Zustimmung zu Teilen der Rotstiftpolitik erklärt. Seit dem Wochenende hatten beide Seiten sogar über eine Rückkehr der abgetauchten demokratischen Senatoren verhandelt. 

Keine Kommentare: