Dienstag, 15. Mai 2012
Die Griechenland-Lüge
Die Pleite
war absehbar, sagen Insider in Brüssel. Die Europäische Union habe
versagt.
Es ging
hier um kriminelle Energie, da hätten wir als EU ermitteln müssen.
Das war aber politisch nicht gewollt. Die damals Verantwortlichen
zeigen späte Einsicht:
Theo Weigl:
Ungeheuerlich, mit falschen Zahlen zu arbeiten. Griechenland hätte
nicht aufgenommen werden dürfen.
Die
Wahlsieger drohen Europa.
Alexis
Tsipras (Syriza):
Frau
Merkel, nehmen Sie zur Kenntnis: das Sparprogramm ist tot.
Deutschland
soll weiter zahlen.
Wolfgang
Bosbach:
Wenn gesagt
wird: Bis jetzt hat es Deutschland nichts gekostet, das ist einfach
nicht richtig.
Evangelos
Angelakos zählt zu den Superreichen Griechenlands. Der
72-jährige ist Oberhaupt einer einflussreichen Reederfamilie;
mächtig in Wirtschaft und Politik, seit Generationen. Interviews
gibt ein solcher Tycoon selten. Doch er macht eine Ausnahme, die
Krise treibt ihn um.
Evangelos
Angelakos:
Wir werden
von Missmanagement erdrückt. Fast nichts funktioniert effizient.
Der ganze
Staat sei korrupt. Deshalb findet es der Reeder nur gerecht, dass er
keine Steuern zahlt. Tatsächlich sind Reeder von Abgaben befreit.
Das steht in der griechischen Verfassung. Dafür haben die Reichen
gesorgt. Dem Staat Geld geben? Für Angelakos völlig abwegig.
Evangelos
Angelakos:
Menschen,
die ihr Geld dem Staat geben? Würden Sie Ihr Geld etwa Al Capone
geben?
Der Reeder
gehört zur Elite; die beherrscht das Land. Geld und Adel haben sich
verbunden. König Konstantin ist ein Jugendfreund von Evangelos
Angelakos.
Prof. Heinz
A. Richter (Historiker):
Es sind
genau die Leute, die zahlen müssen, die sind nicht bereit dazu. Wenn
Sie überlegen, dass keiner der griechischen Reeder seinen
Erstwohnsitz in Griechenland hat, ist klar, was das bedeutet. Vor 70
Jahren hieß es, die wohnen auf ihren Yachten vor Monte Carlo.
Athen, nahe
dem Zentrum. Von den Hilfsmilliarden der EU ist hier kein Cent
angekommen. Drogenhandel, Prostitution, Gewalt. Wer kann, meidet die
Gegend. Der Streetworker Ilias erlebt das Elend jeden Tag. Er führt
uns durch sein Viertel.
Ilias:
Die Leute
leben und schlafen auf der Straße. Neuerdings gibt es viele solcher
Viertel, mitten in Athen.
Nur die
Ärmsten der Armen bleiben. Wer hier wohnt, hat keine Chance.
Eine Frau
zum Streetworker:
Gerade eben
hat man mir meine Tasche gestohlen. Hier sind nur noch Diebe
unterwegs. Man kann sich nicht mehr auf die Straße trauen.
Die
Polizei: machtlos. Sie kann nur noch zusehen wenn ganze Gegenden
verfallen. Das Volk leidet, während die Reichen ungeschoren davon
kommen. Das weiß auch Steuerfahnder Theodoros Floratos.
Theodoros
Floratos (Finanzpolizei Griechenland):
Wir haben
jetzt angefangen die Boote zu registrieren. Wenn nur ein
Eigentümer dieser Yachten seine Steuern zahlen würde, reichte das
für die Rente von 1000 Menschen, einem ganzen Dorf.
Einen
funktionierenden Staat hat es in Griechenland nie gegeben. So sieht
es noch immer im Athener Finanzamt aus. Aktenberge rotten vor sich
hin. Steuerverwaltung auf Griechisch. Ein Paradies für Betrüger und
Steuerhinterzieher. Zu den ganz wenigen Griechenland-Kennern in
Deutschland gehört Professor Heinz Richter. Er ist entsetzt über
die Naivität der Politiker von Brüssel bis Berlin.
Prof. Heinz
A. Richter:
Der Staat
war immer jemand der einen ausbeutete. In Griechenland gehört der
Staat den reichen, der Oligarchie. Und selber wehrt man sich so gut
man kann gegen diesen Staat.
Prof.
Thomas Straubhaar (Direktor Hamburgisches Wirtschaftsinstitut):
In einem
nicht regierbaren Staat wie es Griechenland darstellt, ist
Korruption, Vetternwirtschaft, Schwarzarbeit gang und gäbe. Das ist
klar, denn es fehlen die Strukturen, das zu ändern. Und dem Staat
die Macht zu geben, das zu verhindern und sich durchzusetzen.
Alles
das war bekannt, als Europa Griechenland den Euro schenkte. Die Wiege
der europäischen Demokratien sollte unbedingt dabei sein. Gerade für
deutsche Politiker eine historische Pflicht.
Helmut Kohl
(CDU ehem. Bundeskanzler, am 23.4.1998)
Am Ende des
Jahrhunderts gilt auch der Satz, dass die europäische Einigung ein
Glücksfall der europäischen Geschichte ist. Für uns in Europa und
vor allem für uns Deutsche. Denn Sie können es drehen und wenden,
wie Sie wollen. Es ist die entscheidende Basis und Voraussetzung für
ein dauerhaftes Zusammenleben der europäischen Völker in Frieden,
in Freiheit und Wohlstand.
EU-Kommissar
für Binnenmarkt war Frits Bolkestein. Heute kommt der Niederländer
zu einem bitteren Urteil.
Frits
Bolkestein:
Helmut Kohl
war ein politischer Romantiker, was die Europäische Union anging.
Für ihn war das der Weg für Europa, den Zweiten Weltkrieg endgültig
hinter sich zu lassen. Deshalb wollte er auch alle im Euro haben. Ob
sie sich nun qualifizierten oder nicht. Und das war ein großer
Fehler.
Die
politische Vision war wichtiger als wirtschaftliche Vernunft. Fast
beiläufig wurde Griechenland im Jahr 2000 im portugiesischen Feira
zu Euro-Land. Das entscheidende Protokoll umfasst 80 Punkte. Einer
der kürzesten findet sich unter Römisch 3, Buchstabe C, Unterpunkt
43. In nur fünf Zeilen erwähnt Europa den „Beitritt Griechenlands
zum Euro-Währungsgebiet“. Und gratuliert. Das war´s. Und die
rot-grüne Bundesregierung schließt sich den Glückwünschen an.
Zweifel? Keine. Im Gegenteil.
Hans Eichel
(SPD, ehem. Finanzminister am 29.6.2000):
Griechenland
hat auf einem langen und schwierigen Weg einen erfolgreichen
Konvergenzprozess hinter sich. Dazu muss man, kann man Griechenland
gratulieren. Ich freue mich. Dass Griechenland mit seiner Geschichte
und seinem großen Beitrag, den es zur europäischen Kultur geleistet
hat, Mitglied der Euro-Zone wird.
1, Januar
2002: Griechenland bekommt den Euro. Große Begeisterung; endlich
eine harte Währung.Und dafür hatten die Griechen Zahlen gefälscht,
Schulden kleingerechnet. Die damals Verantwortlichen behaupten
heute, es zu spät bemerkt zu haben.
Theo Weigel
(CSU, ehem. Finanzminister)
Griechenland
hätte nicht aufgenommen werden dürfen. Das ist natürlich schon
schlimm seitens der griechischen Politik. Die Verantwortlichen, die
das getan haben, haben sich schwer versündigt. Vor allen am
griechischen Volk, aber auch an der europäischen Idee.
Dabei gab
es Warnungen genug; auch in Brüssel. Das zeigt ein Bericht der
europäischen Kontrollbehörde Eurostat von 2004. Die hatte: „Die
akutesten Buchungsprobleme in den griechischen Staatskonten richtig
erkannt“... und „bereits 1997 angesprochen“. Seit 2002 hat
Eurostat immer wieder Vorbehalte hinsichtlich bestimmter Zahlen für
Griechenland geäußert. Doch genauer hinschauen durften die
Kontrolleure nicht. Ihnen waren die Hände gebunden.
Walter
Rademacher (Generladirektor Eurostat)
Wir sind
auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
angewiesen. Und wenn das fehlt, gibt es ein Stopp-Schild, über das
wir nicht hinausgehen können. Wir haben dann keinen Schlüssel mit
dem wir auch mal einen Schrank aufmachen können, in dem die Daten
sind, die wir bräuchten.
Dann
häufen sich die Hinweise auf Betrügereien. Die EU muss reagieren.
April 2004: EU-Inspektoren machen sich auf den Weg nach Athen. Was
sie entdecken, geht weit über alle Befürchtungen hinaus.
Griechenland hatte seine Wirtschaftsdaten in großem Stil gefälscht,
Militärausgaben in Milliardenhöhe verschwiegen. Die Schulden waren
in Wahrheit viel höher als angegeben. Griechenland verstieß damit
massiv gegen den Stabilitätspakt. Und Europa handelte noch immer
nicht. Das räumen heute sogar
Vertreter der EU-Kommission ein.
Panayotis
Carvounis (Vertreter der EU-Kommission in Athen):
Griechenland
war unter Beobachtung, weil das Defizit deutlich über der 3% Marke
lag, das war bekannt. Aber damals war europaweit die Stimmung eine
völlig andere. Es gab noch keine Krise. Also gab es auch keine
Sanktionen.
Frits
Bolkestein:
Meine
Enttäuschung über Brüssel gilt den Kollegium der Kommissare
selbst. Sie waren viel zu ängstlich, politisch korrekt. Ich stand
oft alleine da. So sagte mein Präsident, Romano Prodi, dass der
Stabilitätspakt dumm sei. Und das hat er im Parlament gesagt.
Der
Selbstbetrug ging weiter. Wer nicht mitmachte, bekam Ärger. Das
bestätigt auch Anton H. Er ist seit Jahren hoher Beamter bei der EU,
will unerkannt bleiben. Die Wahrheit war damals nicht erwünscht,
berichtet er exklusiv:
Es ging
hier um kriminelle Energie; zum Schaden des europäischen Haushalt
und damit der Steuerzahler. Da hätten wir durchaus Ansatzpunkte
gehabt, um zu ermitteln. Das war aber politisch nicht gewollt.
Und das
hatte Gründe. Auch Europas Schwergewichte Deutschland und Frankreich
scherten sich nicht um den Stabilitätspakt. 2004: Finanzminister
Hans Eichel in Not. Deutschland hat zum dritten Mal hintereinander
das Stabilitätsversprechen gebrochen. Frankreich auch. So
schlagen Eichel und sein damaliger Kollege Sarkozy kurzer Hand vor:
Ändern wir doch den Pakt.
Jean-Claude
Trichet (ehem. EZB-Präsident):
Italien,
Frankreich, Deutschland: Alle haben sich herausgenommen, den
Stabilitätspakt zu verletzen. Für Europa war das ein Riesenproblem.
Die kleinen Länder, vor allem die, die sich selbst schlecht
verhielten, konnten deutlich sehen: Den Stabilitätspakt nahm keiner
mehr richtig ernst. Der hatte keine Zähne.
Wer dies
offen aussprach, wurde zum Miesmacher erklärt; wie Wolfgang Bosbach.
Auch seine Partei (CDU) drückte sich vor der Wahrheit.
Wolfgang
Bosbach (CDU Bundestagsabgeordneter):
Die Debatte
war dann so ähnlich wie sie heute auch ist. Jeder, der mit Zahlen,
Daten und Fakten operiert, der die objektive Lage zutreffend
beschreibt, wird sofort in eine Ecke gestellt als Europakritiker. Als
hätte man keine Ahnung von der Bedeutung des vereinten Europas. Ob
wir nicht wüssten, dass Europa ein großes Werk des Friedens sei...
usw. usw.
Augen zu
und durch. Das Geld wurde rausgehauen als Griechenland den Euro
bekam. Auch für die Vorbereitung der Olympischen Spiele 2004. Die
sollten besonders glanzvoll werden. Ein beispielloser Bauboom begann,
finanziert auf Pump.
Prof. Heinz
A. Richter:
Plötzlich
konnte man ungefährdet Schulden machen. Und da ist nun das Problem,
dass man in Brüssel entweder geschlafen oder zugeguckt hat. Die Art
und Weise wie Gelder verschleudert wurden war atemberaubend.
Prof.
Thomas Straubhaar:
Als
Griechenland Mitglied der Euro-Zone wurde, wurden die Risikozinsen
für Griechenland günstiger. Damit wurde es in Griechenland möglich,
sich billig zu verschulden. Damit wurde ein Boom ausgelöst, der die
Löhne nach oben trieb. Damit wurde Griechenland mit der Zeit teurer
und teurer und hat an Wettbewerbsfähigkeit verloren.
Das kann
man etwa im Norden Griechenlands besichtigen. Nach 10 Jahren
Gemeinschaftswährung sind von der hier einstmals blühenden
Textilindustrie nur noch Ruinen übrig. Die wenigen Unternehmen die
es noch gab, waren nicht mehr wettbewerbsfähig. Machten pleite oder
wanderten in benachbarte Billiglohnländer ab. Der Mittelstand brach
zusammen.
...
Zeitweise
fand sich in fast jeder griechischen Familie ein Beamter. Denn jede
Regierung belohnte ihre Wähler, indem sie mehr Beamte einstellte.
Takis
Michas (Publizist)
Nicht
nur, dass viele Beamte gar nicht arbeiten. Sie müssen noch nicht
einmal am Arbeitsplatz erscheinen. Viele tauchen nur einmal im Monat
am Arbeitsplatz auf, um ihr Geld abzuholen. Manche erscheinen nie,
lassen sich ihr Gehalt auf ihr Konto überweisen. Und man weiß noch
nicht einmal wer die Beamten eigentlich sind.
... und
Europa schaute zu, wie das Unglück seinen Lauf nahm. Die
Staatsverschuldung hat sich zwischen 2002 und 2010 mehr als
verdoppelt. Von 159 Milliarden auf 329 Milliarden Euro. Dann kommt
das böse Erwachen. 25. März 2010: Griechenland steht kurz vor der
Pleite. Die Angst geht um: Fällt der Euro? Nur drei Tage zuvor hatte
die Kanzlerin versucht, zu beschwichtigen.
Frau Merkel
(22.3.2010)
Wir haben
beide noch mal betont, dass Griechenland uns nicht um Geld gefragt
hat.
Doch dann
muss alles ganz schnell gehen. Der Kanzlerin vergeht das Lächeln;
sie muss zahlen. Die Griechen bekommen 22 Milliarden Euro. Nur fünf
Wochen später ist es dann schon fünfmal so viel. Freundlicher
Empfang für den griechischen Finanzminister. Anschließend
entscheidet Europa: Griechenland bekommt 110 Milliarden Euro. Rettung
im letzten Augenblick.
Jean-Claude
Trichet (ehem. EZB-Präsident):
Wir sind in
der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es wäre die
schlimmste Krise seit dem Ersten Weltkrieg geworden, wenn wir nicht
gehandelt hätten. Das ist die Realität.
Frau
Merkel:
Deutschland
wird helfen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
Wolfgang
Bosbach (CDU Bundestagsabgeordneter):
Es gab,
zurückhaltend formuliert, eine mehrfache Kurskorrektur. Am Anfang
hieß es ja, kein Geld für Griechenland. Dann hieß es, ja, aber die
Lage dort ist nicht vergleichbar mit den anderen Ländern in der
südlichen Euro-Zone. Das alles hat sich geändert. Und nicht
innerhalb von Jahrzehnten, sondern von innerhalb von wenigen Monaten.
Das heißt auch, an dieser Stelle stellt sich für viele Menschen die
Vertrauensfrage. Können wir wirklich der Politik vertrauen, dass sie
bei dem bleibt, was man uns versprochen hat?
Versprochen
hatte die Politik auch, dass sich die Banken am Schuldenschnitt
beteiligen. Den Griechen Schulden erlassen. Das sei eine Frage der
Gerechtigkeit. Hatten doch die Banken, der sogenannte private Sektor,
jahrelang an den Zinsen für Anleihen gut verdient.
Frau
Merkel:
Die
Schuldentragfähigkeit Griechenlands kann, und das ist unsere
Überzeugung, nur wieder hergestellt werden, wenn der Privatsektor in
einer substanzieller Weise einbezogen wird.
Doch davon
kann keine Rede sein. Denn die privaten Banken in Deutschland hatten
längst den Großteil ihrer Griechenland-Papiere abgestoßen. Die
Hauptlast trugen die Banken, die dem Staat gehören. Zahlen muss
wieder der Bürger.
Gerhard
Schick (B90/Grüne, Bundestagsabgeordneter):
Ehrlich war
das nicht, wie man kommuniziert hat von Seiten der Bundesregierung
bei der Umschuldung. Man hat immer so das Bild der Banken, der
privaten Gläubiger evoziert, ohne klar zu sagen, dass unter diesen
Gläubigern eben auch eine reihe staatlicher Institutionen sind und
damit der Steuerzahler.
So verlor
ausgerechnet die HypoReal Estate, die der Staat 2008 retten musste,
fast 9 Milliarden Euro. Dafür haftet die Staatskasse, also wir alle.
...
Eine
langsamere Erholung – kaum Fortschritte bei der Privatisierung.
Fazit: Unter diesen Annahmen werden die griechischen Schulden ein
sehr hohes Niveau erreichen.
Alexis
Tsipras (Syriza):
Frau
Merkel, nehmen Sie zur Kenntnis: das Sparprogramm ist tot, es hat
eine vernichtende Niederlage erlitten.
Eine
vernichtende Niederlage auch für Europas Griechenland-Politik. Neue
Angst und Unsicherheit die absehbaren Folgen. Euro-Land gerät noch
mehr in Not. Und die Perspektiven?
Es gibt
keine Zukunft für die Griechen in der Euro-Zone. Es wäre besser,
wenn sie rausgehen.
Quelle: ZDF
Dokumentation /
Eingestellt von PPD am Dienstag, Mai 15, 2012 Labels: Bankster, Unsere Angestellten
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